Virus (German Edition)
aus aller Welt waren zugegen. Das
war die Form von Aufmerksamkeit, die Passe meinte.
Aber was genau hatte der Schwarze
Block gemacht? Man sah keine Ausschreitungen. Waren alle Randalierer verhaftet
worden? Hatten sie vielleicht das Gebäude besetzt? Hatten sie möglicherweise
sogar einen der Regierungschefs in ihre Gewalt gebracht? Mit diesen Gedanken
hatte Passe die letzte Stunde zugebracht und gewartet, dass etwas passierte.
Und viel war passiert. Es hatte hektisches Gerenne auf dem Parkplatz gegeben, unzählige
Menschen hatten das Gebäude betreten und verlassen. Aber nichts war geschehen,
das irgendwie darauf hindeutete, was in dem Gebäude vor sich ging. Passe musste
es einfach wissen. Er suchte nach Mark.
Mark Wolf hatte er am Vorabend
beim Grillen am Zeltplatz kennengelernt. Dieser hatte sich zwar nicht als
Mitglied des Schwarzen Blocks zu erkennen gegeben, aber seinen Worten nach zu
schließen, dachte er in etwa wie Passe. Passe hatte den vagen Verdacht, dass
Mark vielleicht ein Mitglied der gefürchteten Vereinigung war und unauffällig
nach Mitstreitern Ausschau halten sollte, die ebenfalls bereit waren, bis zum
Äußersten zu gehen.
Er wandte sich um, um nach dem
vermeintlichen Radikalen zu suchen, doch Dora hielt ihn am Ärmel fest.
„Wo willst du hin?”
„Ich suche Mark. Hast du Mark
gesehen? Der große Kahlrasierte vom Zeltplatz. Ich muss wissen, was der
Schwarze Block gemacht hat.”
„Der Schwarze Block?” Dora
schmunzelte. „Es gibt keinen Schwarzen Block, Passe.”
„Natürlich gibt es den. Und er
ist hier. Was glaubst du denn, wer hier für so ’n Chaos sorgen kann?”
„Ich weiß nicht, was da los ist.
Ich weiß nur, dass es nicht der Schwarze Block sein kann, weil es so etwas
nicht gibt.”
„Natürlich, du weißt ja immer
alles.” Da war wieder ihre Besserwisserei – der einzige Charakterzug, den Passe
nicht an ihr mochte. Hatte Genua sich vielleicht selbst verwüstet? Genuesen
sollte man mal erzählen, es gebe keinen Schwarzen Block.
„Wenn du immer alles so genau weißt,
weißt du auch wo Mark ist?”
Dora schüttelte den Kopf. Passe
riss seinen Ärmel aus ihrem Griff und machte sich auf die Suche. Bereits nach
wenigen Schritten hatte er Mark gefunden.
„Mark, mann, was geht hier ab?”
„Keine Ahnung.”
„Der Schwarze Block?”
Mark guckte Passe überrascht an. „Meinst
du?”
„Wer sonst könnte so einen
Aufruhr verursachen?”
Mark überlegte kurz. „Ich schätze
du hast Recht”, sagte er schließlich und blickte sich unter den Banner
tragenden, Parolen skandierenden Globalisierungsgegnern, in deren Mitte er
stand, um. „Und wenn der Schwarze Block wirklich da drin ist”, fügte er
nachdenklich hinzu, „dann schätze ich, die Jungs können vielleicht ein wenig
Unterstützung gebrauchen.”
„Was meinst du mit Unterstützung?”
fragte Passe, doch Mark antwortete nicht. Stattdessen zog er ein Halstuch aus
einer Jackentasche und band es sich vor das Gesicht. Dann bückte er sich nach
einem Stein, hob ihn auf und schleuderte ihn über den Zaun auf ein
Polizeifahrzeug. Die Windschutzscheibe barst mit einem lauten Knall. Augenblicklich
drehten sich einige der unzähligen Kameras in ihre Richtung.
Passe verstand sofort. Sie
konnten ihren großen TV-Auftritt immer noch bekommen. Weltweite Aufmerksamkeit.
Er zog sein eigenes Halstuch, das er stets trug, hoch, um sein Gesicht zu
verbergen, und schleuderte ebenfalls einen Stein. Er traf die Seitenscheibe
eines Mannschaftsbusses der Polizei. Sofort taten es ihnen andere gleich. Adrenalin
löschte Angst und schürte Aggression. Munition wurde ge- und Zorn entladen. Es
gab kein Halten mehr. Ein Hagel aus Wurfgeschossen ging auf der anderen Seite
des Zauns nieder.
–––––
Dort brach sofort die Hölle los. Das
Chaos von vorher war nichts im Vergleich zu dem jetzigen. Menschen hasteten so
weit wie möglich vom Zaun weg, hielten sich schützend die Hände über die Köpfe,
rannten ineinander, stolperten, brüllten Befehle, stießen Schmerzensschreie aus.
Dabei verband sich das Grau des
Himmels mit den unzähligen flackernden Blaulichtern zu einer surrealen Stimmung.
Die großen Tropfen des unbarmherzigen Regens reflektierten das Blaulicht und
wirkten ihrerseits wie Geschosse.
Ein Feuerwehrmann rutschte in
einer Pfütze aus und fiel mit der Schläfe gegen einen Polizeiwagen, wo er
benommen liegen blieb. Ein BKA-Beamter wurde von einem Stein am Kopf getroffen
und halb bewusstlos von zwei Kollegen zum
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