Virus (German Edition)
antwortete Bobby.
Debbie erachtete den Zeitpunkt
als denkbar ungeeignet für Bemerkungen dieser Art, verkniff sich aber, ihn das
wissen zu lassen. Stattdessen atmete sie einmal tief durch. „Ruf mich auf
meinem Handy an, wenn du etwas herausgefunden hast. Ich werde dich auf dem
Laufenden halten, wenn sich hier was entwickelt.”
„Mach ich.”
„Und danke für deine Hilfe, Bobby.”
„Kein Thema.”
Debbie legte den Hörer auf die
Gabel und drehte sich wieder auf den Rücken. Viel zu viele Fragen schossen ihr
durch den Kopf und viel zu wenig Antworten.
Doch nach und nach wurden die
Fragen in ihrem Kopf abgelöst von den schrecklichen Bildern des Nachmittags,
die erneut begannen, sich wie in einer Endlosschleife vor ihrem inneren Auge
abzuspielen. So würde sie keinen Schlaf finden können und selbst wenn sie jetzt
Schlaf fände, würde sie aufgrund der frühen Stunde mitten in der Nacht
aufwachen und dem gleichen Problem gegenüber stehen.
Was sie jetzt brauchte, war
frische Luft, ein Spaziergang und verdammt nochmal ein Bier. Sie erinnerte
sich, dass sie auf der Taxifahrt vom Rostocker Flughafen hierher im Dorfkern
eine Kneipe gesehen hatte.
14.
Passe war nach wie vor wie in
Trance. Allerdings nicht mehr wegen des Adrenalins. Das wich langsam aber stetig
aus seinem Körper. Es waren die Gedanken. Abertausende davon rasten
gleichzeitig durch seinen Kopf und trübten seine Wahrnehmung. Er saß im Eingang
seines Zelts, die Knie angezogen und die Arme um die Unterschenkel gelegt. Sein
Kopf lag schief auf seiner Schulter, die Kapuze seines Sweatshirts hatte er
über die kurzen blonden Haare gezogen.
Um ihn herum herrschte einmal
mehr Chaos. Menschen rannten umher, riefen Namen, suchten nach Freunden, fanden
Freunde. Wunden wurden verbunden, Heldentaten besungen, über den Polizeistaat
geschimpft. Gewaltfreie Globalisierungsgegner diskutierten hitzig mit
gewaltbereiten, die einen heulten vor Wut, die anderen feierten ihren Sieg.
Lagerfeuer wurden entzündet, Grills angefeuert, Bierdosen geöffnet.
Es hatte aufgehört zu regnen und nach
und nach wandelte sich die adrenalingetränkte Aufregung in eine hemmungslose
Partystimmung. Die Anspannung des Nachmittags schrie nach Befreiung und entlud
sich in Ausgelassenheit.
Doch von all dem nahm Passe nicht
die geringste Notiz. Wieder und wieder sah er die Bilder des Nachmittags. Die
Schläge. Dora.
Er hatte sie beschützen wollen.
Sie hatte ihn beschützt.
Wieso war sie vermummt gewesen?
Woher konnte sie Karate? Was würden die nächsten Schritte sein? War Mark Wolf
jetzt ihr Anführer? War er vielleicht wirklich aus dem Schwarzen Block und
hatte den Auftrag, unter den campenden Globalisierungsgegnern Gewaltbereite zu
finden? Wer waren seine Mitstreiter nochmal gewesen? Passe versuchte wieder und
wieder, sich ihre Gesichter in Erinnerung zu rufen. Einige von ihnen waren ihm
bekannt vorgekommen, doch persönlich und mit Namen hatte er keinen gekannt.
Es gelang Passe nicht, seine
Gedanken zu strukturieren. Wilde Assoziationen jagten Fragen ohne Antworten, immer
wieder gestört durch stechende Kopfschmerzen.
Den Rest konnte er ertragen,
wirklich schlimm waren nur diese hämmernden Kopfschmerzen. Ob er eine
Gehirnerschütterung hatte? Wenn er sich nicht bewegte, schmerzten die blauen
Flecke kaum, wenn er nicht zu tief atmete, spürte er selbst die schwer
geprellten Rippen nicht allzu stark. Oder vielleicht kam ihm das auch nur so
vor, weil die stechenden Kopfschmerzen alles andere übertönten.
Warum war der verdammte Tank
nicht explodiert? Hatten sie trotzdem genug Aufmerksamkeit erzeugt? Hatten die
Kamerateams sie gefilmt? Wurde ihre Botschaft um die Welt getragen? War es ein
Sieg oder eine Niederlage gewesen? Wie viele waren verhaftet worden? War die
Truppe noch stark genug für weitere Aktionen? Wann und wo würde man sich wieder
zeigen? Hatte Mark einen Plan? Oder war er vielleicht gar kein Anführer,
sondern hatte nur spontan das Kommando übernommen? Wo hatte er plötzlich den
Molotow Cocktail hergehabt? War Mark überhaupt entkommen? Hatte vielleicht auch
er einen rätselhaften Retter gehabt? Hatte Dora ein Geheimnis vor ihm?
All diese Fragen schienen ihm
gleichzeitig durch den Kopf zu schießen und zu jeder einzelnen assoziierte er
wilde Antworten. Er sah Mark den Molotow Cocktail herstellen. Im nächsten Moment
sah er, wie Mark ihn fand und wieder Bruchteile von Sekunden später sah er, wie
jemand anderes Mark den Cocktail in die Hand drückte. Es gab
Weitere Kostenlose Bücher