Virus (German Edition)
machen.
Sie blickte auf ihre Armbanduhr,
dieses wunderschöne goldene Schmuckstück, das ihre Mutter ihr auf ihrem
Sterbebett gegeben hatte, und das sie, obwohl es so gar nicht zu ihrem Stil
passte, nur im Labor und zum Duschen ablegte. Eine plötzliche innere Wärme
überkam Debbie, der Gedanke an ihre Mutter gab ihr Kraft. Sie hätte früher auf
die Idee kommen sollen, auf die Uhr zu gucken.
Kurz nach acht Uhr abends
bedeutete, dass es in Minnesota kurz nach ein Uhr mittags war. Debbie hoffte
inständig, Bobby würde nicht gerade Mittagspause machen. Ohne das Licht
einzuschalten griff sie nach dem Telefonhörer auf ihrem Nachttischchen und wählte
seinen Apparat im Labor an. Zu ihrer Erleichterung nahm er bereits nach kurzem
Klingeln ab.
„Hallo.”
„Hi Bobby, hier ist Debbie.”
„Debbie! Ich wusste, du würdest
mich schnell vermissen.” Freudige Erregung schwang in Bobbys Stimme mit. „Wie
geht es dir? Wie ist der Gipfel? Hat der Professor seinen Vortrag schon
gehalten?”
„Der Professor ist tot, Bobby”,
sagte Debbie mit leicht zitternder Stimme. Es war das erste Mal, dass sie es
selbst ausgesprochen hatte und es verlieh der Sache eine seltsame Endgültigkeit,
die ob der Umstände des Todes eigentlich sowieso gegeben war. Aber als die
Worte Debbies Lippen verließen überkam sie urplötzlich ein unkontrollierter
Weinkrampf. Die ganze Anspannung der letzten Stunden entlud sich.
Es dauerte fünf Minuten, bis sie
sich soweit beruhigt hatte, dass sie wieder sprechen konnte. Sie bekam fast
sogar ein wenig Mitleid mit Bobby, denn sie merkte, wie unsicher ihn ihr Heulen
machte. Die ganzen fünf Minuten lang hatte er gestammelte Versuche unternommen,
sie zu beruhigen. Der Umgang mit herzzerreißend heulenden Frauen gehörte
wahrscheinlich nicht zur Grundausbildung eines Soldaten der U.S. Navy.
Immer noch gelegentlich
schluchzend berichtete sie ihm von den schrecklichen Ereignissen des Nachmittags.
Von dem Ton, dem Blitz und der Schrift, von dem Leichenschauschein und dem
angenommenen natürlichen Tod, von dem arbeitsscheuen Kommissar und dem nervigen
Pfarrer.
Als sie fertig war, herrschte für
einige Sekunden Stille. Debbie hatte ihre Geschichte erzählt und für den Moment
nicht mehr zu sagen. Bobby hingegen musste das Gesagte offenbar kurz sacken
lassen, die Flut an Informationen verarbeiten, bevor er etwas dazu beitragen
konnte.
„Du meinst also, es war eine
Inszenierung?” fragte er schließlich.
„So wirkte es. Als wolle jemand
etwas aussagen.” Debbie klang jetzt wieder sicherer, gefasster. Es tat gut, Bobbys
vertraute Stimme zu hören. Sie verlieh ihr das Gefühl, nicht mehr völlig allein
zu sein.
„Was, sagst du, stand da? A87?”
fragte er nach.
„Ja. A87. Es war eine Botschaft –
ganz eindeutig. Ich verstehe sie nur nicht. Was will der Mörder uns sagen?”
„Keine Ahnung. Meinst du A87 wie
der ICD Code?”
„Ja. Virusmeningitis. Das ist
mehr oder weniger seine Botschaft. Aber was für eine Scheißbotschaft ist das?
Weißt du zufällig, ob der Professor mal über Virusmeningitis geforscht hat?”
Bobby überlegte kurz. „Keine
Ahnung. Aber das kann ich herausfinden.”
„Aber selbst wenn. Würde es dann
einen Sinn machen?”
Diesmal dachte Bobby länger nach
und begann dann zögernd. „Vielleicht soll es auf einen bestimmten Zeitraum verweisen.
Vielleicht hat der Professor in einem bestimmten Jahr über Virusmeningitis
geforscht”, sagte er schließlich.
„Okay, das könnte sein. Aber was
soll der Verweis auf ein Jahr oder einen Zeitraum?”
„Das kommt ganz darauf an, aus
welchen Motiven der Mörder handelt. Du sagst, er will eine Aussage treffen.
Dann ist doch mit Sicherheit auch der Rahmen, den er sich ausgesucht hat, nicht
zufällig.”
„Der G8-Gipfel”, sagte Debbie
nachdenklich. Noch immer lag sie auf ihrem Bett und starrte in die inzwischen fast
vollständige Dunkelheit des Raums. Langsam schlich sich bei ihr das Gefühl ein,
sie gingen in eine viel versprechende Richtung. „Du meinst, es ist ein
Globalisierungsgegner?”
„Nur mal angenommen, es ist ein
Globalisierungsgegner und er will mit großem Effekt zeigen, dass er die G8
hasst”, antwortete Bobby. „Also inszeniert er diesen schrecklichen Mord und
verweist durch einen Schriftzug auf das Jahr, in dem die G8 gegründet wurde.
Nur mal so in die Tüte gesprochen.”
„Die G8 wurde 1975 gegründet, das
habe ich hier gelesen. Da hat der Professor selbst noch studiert.” Ein Hauch
von
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