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Virus (German Edition)

Virus (German Edition)

Titel: Virus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristian Isringhaus
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übergeworfen
und sich auf das Bett gelegt.
    Während die schrecklichen Bilder
des Nachmittags in einer Endlosschleife wieder und wieder vor ihrem inneren
Auge abliefen, versuchte sie krampfhaft, einen klaren Gedanken zu fassen. Wer
konnte einen Grund gehabt haben, den Professor umzubringen? Ein Konkurrent? Ein
Neider? Oder – ganz profan – womöglich ein Angehöriger wegen Erbe und
Lebensversicherung?
    Und warum auf diese Art und
Weise? Das Ganze hatte eher wie eine Inszenierung gewirkt, als wolle der Mörder
ein Zeichen setzen, etwas aussagen. Aber was? Hierauf gab es nur einen einzigen
Hinweis und dessen Sinn wollte sich Debbie einfach nicht erschließen.
    A87. Was hatte A87 zu bedeuten?
Oder vielmehr: Was hatte es mit dem Professor zu tun? Denn was es bedeutete,
wusste sie natürlich. Jeder Virologe wusste das.
    Es handelte sich um von der
Weltgesundheitsorganisation herausgegebene Codes zur Klassifizierung von
Krankheiten, die sogenannten ICD Codes. ICD
stand für International Statistical Classification of Diseases and Related
Health Problems . Die
Codes waren zur weltweiten statistischen Erforschung von Morbidität und
Mortalität eingeführt worden, also von Krankheitswahrscheinlichkeit und
Sterblichkeit.
    Der Vorläufer dieser
Klassifikation war bereits 1893 von Jacques Bertillon erarbeitet worden, das
sogenannte Internationale Todesursachenverzeichnis. Nachdem bereits mehrere
Länder dieses Verzeichnis übernommen hatten, hatte 1898 die amerikanische
Gesundheitsorganisation vorgeschlagen, dass auch die USA, Kanada und Mexiko der
Codierung folgen sollten, und dass das Verzeichnis, um dem Fortschreiten der
Forschung stets gerecht zu werden, alle zehn Jahre überarbeitet werden sollte.
1900 dann hatte die erste internationale Konferenz zur Klassifizierung von
Todesursachen stattgefunden. 1948 hatte die WHO die Verantwortung übernommen.
    Heute befand man sich in der
zehnten Überarbeitung, weshalb das aktuelle Verzeichnis auch unter dem Namen
ICD-10 bekannt war.
    In ICD-10 stand die Gruppe
A80-A89 für Virusinfektionen des Zentralnervensystems. A87 stand für eine
Virusmeningitis, also eine durch einen Virus hervorgerufene Hirnhautentzündung.
Aber was für einen Sinn machte das in diesem Zusammenhang? Professor Meng Hong
hatte nie in diese Richtung geforscht. Oder vielleicht doch? Bevor er
angefangen hatte, über SARS zu forschen? Oder sogar weit davor in seinen ganz
jungen Jahren?
    Doch ganz offensichtlich wollte
der Mörder ja eine Botschaft übermitteln und dementsprechend uninteressant war
es im Prinzip, ob der Professor mal über Meningitis verursachende Viren
geforscht hatte oder nicht. Die Botschaft lautete ‚Virushirnhautentzündung’ und
sie ergab keinen Sinn, der sich Debbie irgendwie erschloss.
    Sie musste mit jemandem sprechen.
Zu zweit kam man häufig schneller auf eine Lösung. Außerdem musste sie Bobby
ohnehin anrufen. Er sollte nicht aus der Zeitung erfahren, was passiert war.
    Bobby Ecram war ihr
Forschungsassistent an der University of Minnesota in Minneapolis. Er war ein
gutaussehender Kerl, Typ Quarterback, und versuchte seit dem ersten Tag ihrer
Zusammenarbeit, bei Debbie zu landen. Die meisten Studentinnen vergötterten ihn
und Debbie war sich ziemlich sicher, dass er trotz seiner Schwäche für sie
nicht jeden Abend alleine ins Bett ging. Doch er war nicht ihr Typ. Er war
lustig, aufgeweckt, intelligent – aber trotz seiner 37 Jahre doch noch
reichlich unreif.
    Bobby hatte vier Jahre lang bei
der Navy gedient und Debbie war überzeugt, dass es zu viel Testosteron auf
amerikanischen Kriegsschiffen gab. Sie hatte sich gelegentlich vorgestellt, wie
es gewesen sein musste, wenn Bobby mit seinen Kameraden nach Wochen auf See in
eine Kneipe eingefallen war, in der auch Frauen waren. Diese Gedanken hatten
stets eine Mischung aus Ekel und Belustigung in ihr hervorgerufen. Einige
Verhaltensmuster von damals hatte Bobby bis heute nicht abgelegt. Doch trotz
seines häufig machohaften Auftretens und seiner ständigen zweideutigen Bemerkungen
mochte Debbie ihn wegen seines Humors als Freund und schätzte ihn wegen seiner
großen Sachkompetenz und seines ungebremsten Forschungsdrangs als Kollegen.
    Die horrenden Telefongebühren,
die das Hotel berechnete, waren ihr in diesem Moment egal. Mit ein bisschen
Glück würde auch das der deutsche Steuerzahler übernehmen. Bei geplanten Kosten
von knapp hundert Millionen Euro für den Gipfel würde ihr Telefongespräch den
Braten auch nicht mehr fett

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