Virus
sicher besser als das im Tropic Motel.«
»Ach, das Tropic Motel ist schon soweit in Ordnung«, erwiderte Marissa und hatte ein ungutes Gefühl – so, als ob ihr Unterbewußtsein versuche, ihr etwas zu sagen.
*
Marissa kehrte in den kleinen Raum hinter dem Schwesternzimmer zurück und begann damit, ihren Papierkram aufzuarbeiten. Als erstes telefonierte sie mit den Firmen, die sich als Sponsoren für die beiden Ärztekonferenzen betätigt hatten, an denen Dr. Richter teilgenommen hatte. Sie teilte ihnen mit, daß sie erfahren müsse, ob weitere Teilnehmer an einer Infektionskrankheit erkrankt seien. Angesichts der Grausamkeit ihres nächsten Anrufs mußte sie die Zähne zusammenbeißen – sie wählte die Privatnummer von Dr. Richter, um zu fragen, ob sie sich die Zusammenstellung abholen könne, die Mrs. Richter ihr am Vortag versprochen hatte.
Die Nachbarin, die den Anruf entgegennahm, wirkte entsetzt über eine derartige Zumutung, sagte aber nach einer kurzen Unterhaltung mit der Witwe, Marissa könne in einer halben Stunde vorbeikommen.
Marissa fuhr hinauf zu dem wunderschön gelegenen Haus und klingelte nervös an der Tür. Die Nachbarin, mit der sie schon am Telefon gesprochen hatte, öffnete und führte Marissa ziemlich empört ins Wohnzimmer. Anna Richter trat wenige Minuten später ein. Sie schien über Nacht um zehn Jahre gealtert zu sein. Sie war sehr bleich, und ihr Haar, das noch am Abend zuvor so sorgfältig und gepflegt gelockt gewesen war, hing ihr in Strähnen ums Gesicht.
Die Nachbarin führte sie zu einem Sessel, und Marissa war erstaunt, als sie in ihren Händen einige linierte Papierbögen sah, die sie nervös zusammen- und dann wieder auseinanderfaltete und die offenbar jene Zusammenstellung enthielten, um die Marissa am Vorabend gebeten hatte. Es war ihr klar, was die Frau durchgemacht haben mußte, doch sie wußte nicht, was sie ihr sagen sollte. Aber Anna Richter reichte ihr die Blätter einfach mit den Worten: »Ich konnte ja sowieso nicht schlafen diese Nacht, und vielleicht kann das für eine andere arme Familie von Nutzen sein.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Er war so ein guter Mann … und ein guter Vater … meine armen Kinder!«
Obwohl Marissa ja jetzt um seine Affäre mit Helen Townsend wußte, hatte sie den Eindruck, daß Dr. Richter ein recht guter Ehemann gewesen sein mußte. Anna Richters Kummer schien jedenfalls echt, und Marissa verabschiedete sich von ihr, sobald es die Höflichkeit erlaubte.
Die Aufzeichnungen, die sie gleich im Wagen durchlas, bevor sie losfuhr, waren überraschend genau und ausführlich. Marissa war überzeugt davon, daß sie zusammen mit dem Ergebnis einer weiteren Befragung von Miß Cavanagh und der Durchsicht von Dr. Richters Terminkalender ein sogetreues Bild von Dr. Richters letzten Lebenswochen erbringen würden, wie es überhaupt nur möglich war.
Wieder zurück im Krankenhaus, legte Marissa für jeden Januartag ein gesondertes Blatt an und trug darauf Dr. Richters Tätigkeiten ein. Eine Sache, die sie neu entdeckte, war, daß er sich bei Miß Cavanagh beklagt hatte über einen AIDS-Patienten namens Meterko, der an einer ungeklärten Netzhauterkrankung litt. Das sah so aus, als ob Marissa sich näher damit befassen müsse.
Am Nachmittag klingelte das Telefon in Marissas Kabäuschen. Sie nahm den Hörer ab und war überrascht, Tad Schockleys Stimme zu hören. Die Verbindung war so gut, daß sie für einen Augenblick glaubte, er sei hier in Los Angeles.
»Aber nein«, sagte er auf ihre diesbezügliche Frage. »Ich bin nach wie vor in Atlanta. Doch ich muß Dubchek sprechen. In der Vermittlung meinten sie, du wüßtest vielleicht, wo er steckt.«
»Wenn er nicht in dem Zimmer ist, das sie hier für das CDC freigemacht haben, schätze ich, daß er in sein Hotel gegangen ist. Die waren offenbar alle die ganze Nacht auf.«
»Gut, ich werde es im Hotel versuchen. Aber für den Fall, daß ich ihn dort nicht erwische, könntest du ihm bitte etwas ausrichten?«
»Na klar«, gab Marissa zurück.
»Es sind leider keine guten Nachrichten.«
Marissa schrak zusammen, preßte den Hörer ans Ohr und fragte: »Doch nichts Persönliches?«
»Nein«, antwortete Tad mit einem kurzen Auflachen. »Es geht um den Virus, mit dem ihr euch dort herumschlagt. Die Proben, die du uns geschickt hast, waren phantastisch, besonders die von Dr. Richter. Sein Blut war überschwemmt von Viren – mehr als eine Milliarde pro Milliliter. Alles, was ich
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