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Visby: Roman (German Edition)

Visby: Roman (German Edition)

Titel: Visby: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Slawig
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sagte Timo. »Wir waren am Strand, vor der Arbeit.«
    »Wieso hast du mich nicht angerufen?«
    Er sah sie kurz an. Du hättest doch keine Lust gehabt, sagte der Blick. Drei Mal hatte sie abgelehnt, ihn zu begleiten; sie war zu müde gewesen, zu träge, weil sie nachts nur wenig schlief.
    »Morgen komme ich mit«, sagte sie.
    Er sah sie wieder an und schwieg. Er hatte sich so weit entfernt; sie spürte nicht mehr, was in ihm vorging. Katta trottete neben ihm her. Dhanavati warf den Stock weg; Katta drehte nicht einmal den Kopf.
    »Halb sieben?«
    Timo klopfte Katta den Hals. »Halb sieben an der Eisenbahnbrücke.« Er lächelte ihr zu.
    Sie fragte ihn nach der Radtour, die er Ende Juni unternommen hatte: nordwärts bis nach Skagen, mit Zelt und Katta. Er erzählte auf Dänisch von Wanderdünen und einer fast zugewehten Kirche. Sie erzählte ihm von einem Diskussionsforum zu einer Krimiserie im Fernsehen, in der es um die Suche nach Vermissten ging. Seit Tagen strich sie so um das Thema herum; seit Timo von der Fahrradreise zurück war. Sie wusste nicht, ob sie Lee erwähnen sollte. Timo würde skeptisch sein, vernünftige Fragen stellen; wollte sie das? Maria klackerte vor ihnen die Straße hinunter. An der Einmündung in die Hauptverkehrsstraße holten sie auf.
    »Ich habe eine Website zur Ergodentheorie entdeckt«, sagte sie auf Englisch. »Von einer tschechischen Uni. Offene Fragen . Da steht genau das Problem auf der Liste, für das ich auch gern eine Lösung hätte. Zusammen mit einem halben Dutzend anderer Fragen.«
    »Pech«, sagte Timo.
    »Richtig.«
    »Wenn du natürlich ein Genie wärst … «
    »Ach, halt den Mund.«
    Maria drehte sich zu ihnen um. »Was wäre, wenn sie ein Genie wäre?«
    »Dann hätte ich längst eine fertige Abhandlung zu dem Thema in der Schublade, die ich mit neunzehn oder so geschrieben und nur noch nicht veröffentlicht habe. Timo hat den Wikipedia-Eintrag über Gauß gelesen, seitdem findet er, dass ich keine richtige Mathematikerin bin.«
    » Ich hätte das der Chefin nicht verraten«, sagte Timo.
    Maria blickte nach rechts und links, setzte einen Fuß auf die Fahrbahn und sprach über die Schulter. »Es würde reichen, wenn du unser Problem löst, Dhani.«
    Sie stürmte über die Straße.
    Timo und Katta folgten.
    Dhanavati blickte ihnen nach. Was war das eben für ein Tonfall gewesen? Ärger in Timos Sticheleien, in Marias Antwort Ungeduld? Oder bildete sie sich das ein? Wenn die Dinge ihre Konturen verloren, begann man Schatten zu interpretieren. Als nächstes kämpfte man dann mit den Schatten, versuchte ihnen Form und Substanz aufzuzwingen. Das kannte sie doch. Das würde nicht noch einmal passieren.
    Ein Radfahrer fuhr vorbei. Lautlos. Danach ein Auto; dann sprangen an der Kreuzung die Ampeln um, und ein ganzer Pulk rauschte heran; die Luft füllte sich mit Lärm. Auf der anderen Straßenseite gingen Maria und Timo, einträchtig, durch weißes Rauschen von ihr getrennt.
    Der Autostrom riss ab. Sie überquerte die Straße und folgte den beiden, in die Seitenstraße, ins Restaurant. Sie saßen schon an einem der hinteren Tische, der Kellner stand neben ihnen, Maria bemerkte sie und winkte. »Salat?«
    Sie nickte.
    »Und einen Salat.« Maria deutete auf den Eintrag in der Speisekarte. »Und Mineralwasser. Vand. Stor.« Sie zeigte mit der Hand, wie groß die Flasche sein sollte. Maria sprach etwa zehn Wörter Dänisch, obwohl sie seit neun Jahren in Århus lebte, sie hatte nie eingesehen, wieso man diese Sprache brauchte, wenn doch alle Dänen Englisch beherrschten.
    Der Kellner ging. Sie setzte sich Maria gegenüber. Maria lächelte. Freundlich. Oder? Hatte sie so nicht auch gelächelt, wenn sie Onkel Robert und Tante Doris ihre Mitbringsel überreicht hatte? Ein bunt bedrucktes Baumwolltuch, eine Halskette aus dicken Steinperlen – Dinge, die man in Marsberg nicht tragen konnte, ohne angestarrt zu werden; was Maria genau gewusst hatte, denn sie hatte solche Dinge getragen. Bunte Hemden. Tücher im Haar.
    »Ich arbeite durchaus an eurer Fragestellung.«
    Maria hob die Augenbrauen. »Ehrlich gesagt, habe ich Zweifel, ob du überhaupt weißt, wie unsere Frage lautet, liebe Dhani. Dieser Aufsatz, den du mir im Herbst gezeigt hast … «
    »Der war für eine mathematische Zeitschrift.« Warum fing Maria damit an? Das hatten sie doch längst geklärt, vor eineinhalb Jahren, als sie die Stelle am AIMSEP angenommen hatte. Meine Herangehensweise ist abstrakt, Maria, hatte sie damals

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