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Visby: Roman (German Edition)

Visby: Roman (German Edition)

Titel: Visby: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Slawig
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zurück ins Häuschen, mit dummem Grinsen auf dem Gesicht, als hätten sie etwas Tolles geleistet.
    In Mathematikerforen war das anders. Da stellte man eine Frage: Hi, wie übersetze ich diesen Matlab-Code in C++?, bekam eine sachliche Antwort, und gut. Wieso funktionierte das bei anderen Themen nicht auch?
    Egal. Sie legte den Kopf in den Nacken und leerte die Dose. Es war sowieso eine dumme Aktion gewesen. Unreflektiert. Wozu stellte sie diese Frage? Wozu grübelte sie immer wieder darüber nach? Als wäre sie auch eins dieser Figürchen aus Blech, das sich auf seiner Schiene bewegen musste, vor und zurück, vor und zurück, keine andere Wahl. Sie hatte das doch längst durchdacht, mehr als ein Mal, seit sie die amtlichen Unterlagen über den Tod ihrer Mutter gelesen hatte. Es spielte keine Rolle, wie ihre Mutter gestorben war, ob sie wirklich gesprungen war, warum sie gesprungen war – das zu erfahren, würde nichts ändern. Was ihr fehlte, war nicht ein Stück Vergangenheit, sondern –
    Ein Anker. Diese innere Gewissheit, dass man in die Welt hineingehörte. Was Timo besaß. Und Maria natürlich, kein anderer Mensch so stark wie Maria. Die sich nie treiben ließ. Die genau wusste, weshalb sie die Arbeit als Ärztin in Afrika aufgegeben hatte, um ein Forschungsinstitut in Århus zu leiten, Artikel über die Ausbreitung der Tuberkulose zu schreiben, auf Fachtagungen der WHO mit Kollegen und Politikern zu streiten, statt einzelne Kranke zu heilen. Innere Schwere. Das Gefühl von Substanz.
    Was auch jeder Spießer besaß. Onkel Robert, Tante Doris. Jeder einzelne Mensch damals in Marsberg. Was ihnen diese Unverrückbarkeit gab. Dass man sich an ihnen Kopf und Fäuste wund stieß und am Ende doch keine andere Lösung fand, als zu gehen.
    Blei in den Knochen. Sie dagegen ging übers Wasser. Sie konnte sich überall verankern. Freunde finden, heimisch werden. Jetzt, hier. Sie verdiente mehr Geld, als sie brauchte, sie hatte ihrem Forschungsthema treu bleiben können, trotz der Beinahe-Katastrophe in Hamburg, und hatte durch den Wechsel nach Århus sogar gewonnen: Epidemien zu modellieren war interessanter als die rein mathematischen komplexen Systeme, um die es in Hamburg ging; und Maria ließ ihr freie Hand. Sie scherte sich nicht darum, was andere ihr erzählt hatten, sie kannte sie gut genug, um ihr zu vertrauen. Maria, auf die immer Verlass war. Patentante und Chefin. Die sich ihrer Ziele so sicher war, dass sie Sicherheit abgeben konnte. Aus dem Projekt ließ sich definitiv etwas machen – und wenn alles so lief wie erwartet, würde Maria die Stelle am Ende der zwei Jahre verlängern, ihre Anträge auf Fördermittel wurden fast immer bewilligt. Maria wusste, was sie tat. Bei ihr konnte man sich etwas aufbauen.
    Das dachtest du in Hamburg auch.
    Na gut. Ja. Aber noch einmal würde ihr so etwas nicht passieren, so dumm war niemand, nicht zweimal hintereinander. Jetzt kannte sie die Warnsignale. Hier war alles besser. Hier hatte sie Freunde.
    Gut, aber dann streich auch diese Foren. Lass das zweite Bier im Kühlschrank. Geh nach draußen. In die Stadt? Nein, rüber zum Strand. Wind, weicher Sand, Abendsonne, Wasser. Hineinlaufen und schwimmen, schwimmen, gegen die Wellen, geradeaus. Irgendjemand aus der Clique würde sicher noch da sein, Arne, Christina, vielleicht sogar Timo mit seiner Katta.
    Im warmen Sand liegen.
    Nicht mehr nachdenken.

Date: Wen, 13 Jul 2005 06:42:08 +0200
    From: [email protected]
    To: [email protected]
    Subject: Letztes Jahr, Forum »vermisst«
    Hallo Dhan,
    erinnerst du dich? Du warst im Forum, weil du mehr über den Tod deiner Mutter erfahren wolltest. Ich habe dir damals meine Hilfe angeboten, aber du hast dich nie gemeldet.
    Falls dich die Sache noch interessiert: Ich mache solche Recherchen jetzt beruflich. Genaueres kannst du auf meiner Website nachlesen:
    http://www.personensuche-schmitz.de
    Das Ganze ist noch im Aufbau, aber ein paar Aufträge dieser Art habe ich schon erledigt.
    Ich schicke dir einfach einmal einen Vertrag als pdf mit. Du kannst es dir ja überlegen.
    Gruß
    Lee

So viel Licht. Die Sonne war nicht grell, denn es hing immer Dunst in der Luft, aber ihr Licht verteilte sich über den Himmel und sickerte überall hinein; es bleichte die Schatten unter den Weiden, mischte Weiß in das Grün der Wiese.
    So leer. Sie drückte die Stirn ans Fenster ihres Arbeitszimmers und drehte den Kopf weit nach links, weit nach rechts. Im gesamten Gesichtsfeld nur drei

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