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Visby: Roman (German Edition)

Visby: Roman (German Edition)

Titel: Visby: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Slawig
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genau, was ich vorhatte, gegen ihr hartnäckiges Schweigen an, damit sie wusste, dass ich nicht einfach wegbleiben würde wie Adrian. Ich schlug ihr vor, bis zu meiner Rückkehr bei Paula und Bernd auf dem Reiterhof zu wohnen.
    Sie hat Angst. Ich habe es beim Telefonieren in ihrer Stimme gehört. Aber sie spricht nicht mit mir darüber.
    Am neunundzwanzigsten November fuhr ich los. Von Westerkoog mit dem Auto zum Hamburger Flughafen, mit dem Flugzeug nach Kopenhagen, nach Stockholm, nach Visby und mit einem Mietwagen nach Ljugarn. Seit fünfzehn Jahren bin ich nicht mehr so weit gereist.

Begonnen hat alles mit Jens Nilssons erstem Besuch, am einunddreißigsten August, einem Mittwoch. Ein frischer Tag, sonnig und windig, weiße Wolken, die sich in Pfützen spiegelten, Stare und Schwalben in der Luft. Das Ende des Sommers: Die Tage wurden kürzer, die Schatten waren klar und scharf, abends roch es nach Holzfeuer und feuchtem Laub.
    Als Nilsson kam, war es Nachmittag, und ich kramte in der Werkstatt herum. Ich hatte zwei Wochen lang an einem großen Auftrag gearbeitet: einer Arche Noah mit dreiunddreißig Figuren. Am Abend zuvor hatte ich die letzten Pappmaché-Tiere bemalt, am Vormittag hatte ich sie mit Klarlack überzogen. Nun wusste ich nichts mit mir anzufangen. Seit dem Mittagessen hatte ich schon alle Pinsel gesäubert, die Farben im Regal umsortiert, den Zeitungsstapel umgeschichtet und längst überholte Artikel im Eiderstedter Boten gelesen. Ich war in dieser Nach-der-Arbeit-Katerstimmung, in der man weiß, dass einem nichts gelingen wird und man dennoch nicht zur Ruhe kommt. Maike war in unserem Laden in Sankt Peter, Nina beim Basketball und danach bei einer Freundin, Adrian hatte angekündigt, dass er nach Feierabend noch an einem Boot arbeiten und erst spät nach Haus kommen würde. Niemand in der Nähe, der mir einen Vorwand gab, mich mit etwas anderem zu befassen.
    Als ich gerade wieder einmal vor dem Arbeitstisch stand und missvergnügt die sechs Figuren betrachtete, die dort noch aufgereiht standen, um zu trocknen, hörte ich draußen Stimmen. Kundschaft war auch nicht das, was ich mir wünschte, und einen Moment lang erwog ich ernsthaft, die Tür von innen zu verriegeln. Aber Touristen schrecken nicht davor zurück, durch Fenster zu spähen, wenn sie etwas besichtigen wollen. Ich stieß die Tür auf und trat in den Wind hinaus.
    Es stand nur ein Mann dort, was mich wunderte, denn mit wem hatte er dann gesprochen? Er trug Stadtschuhe und einen dünnen dunklen Blouson, den der Wind flach an seinen Rücken blies. Sein Auto hatte er neben der Zufahrt zu unserem Grundstück am Straßenrand abgestellt: groß und dunkel, ein Auto für Vielfahrer.
    Er stand zehn Meter von mir entfernt auf der Kiesfläche, auf der wir unseren Lieferwagen parken, und blickte um sich. Nicht wie ein Urlauber, eher wie ein Immobilienmakler, der das Grundstück verkaufen soll und überlegt, wie man Wohnhaus, Werkstatt und Schuppen am besten anpreist. Jetzt sah ich auch, dass er telefonierte. Im gleichen Moment bemerkte er mich, blickte kurz zum Haus hinüber, sprach noch etwas in das Handy und steckte es ein.
    Ich schaute auch zum Haus. Die Hintertür war nicht abgeschlossen, ich schließe tagsüber nie ab, wenn ich auf dem Grundstück bin. Jeder hätte hineinspazieren können. Unbemerkt.
    Der Mann war inzwischen näher gekommen und musterte mich von oben bis unten. Als wollte er meine Geistesgegenwart einschätzen. Oder meine Schnelligkeit. Meine Fähigkeit, laut zu schreien.
    »Kann ich Ihnen helfen?«
    Er blieb stehen. Drei Schritte vor mir. Groß und schwer. Er schien nicht zu wissen, was er antworten sollte. Ich sagte mir, dass ein Einbrecher mir nicht so offen entgegentreten würde. Außerdem sah man unserem Haus an, wie wenig es hier zu stehlen gab. Nur Ninas Musikanlage und den Computer, den Adrian vor vier Wochen bei Aldi gekauft hatte.
    Und mein Portemonnaie. Es lag im Wohnzimmer, sofort sichtbar auf dem Couchtisch. Es enthielt meinen Ausweis, meine EC -Karte, meine Kreditkarte für unser gemeinsames Konto.
    An der Hausecke tauchte ein zweiter Mann auf. Als hätte der erste es gespürt, blickte er sich um, und der andere schloss zu ihm auf. So standen sie vor mir, auf gespenstische Art identisch, obwohl der zweite einen Kopf kleiner war als sein Begleiter und sicherlich kaum die Hälfte wog. Aber die Mienen waren die gleichen. Wachsam. Verschlossen.
    »Suchen Sie jemand?«, fragte ich.
    Der Kleinere trat einen Schritt vor

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