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Visby: Roman (German Edition)

Visby: Roman (German Edition)

Titel: Visby: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Slawig
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helfen.«
    Dhanavati. Ihr Name verscheuchte all die unkonkreten Ängste und ließ eine klar fassbare Sorge zurück. Ich weiß noch genau, was ich als Erstes dachte: Sei froh, dass Adrian noch nicht wieder da ist.
    »Wir wissen nichts von ihr«, sagte ich. »Überhaupt nichts. Wir haben seit zwanzig Jahren keinen Kontakt mehr zu ihr.«
    Nilsson schwieg. Es war ein Schweigen voller Unterströmungen, wie Wasser, das oberflächlich still wirkt und einen doch ins Tiefe zieht. Ich wollte ihn wegschicken, und zugleich wollte ich ihn packen und zwingen, mir genau zu erzählen, was hier vorging. Dabei spürte ich schon, dass ich ihm nicht gewachsen sein würde.
    »Können wir uns trotzdem kurz unterhalten?«, fragte er schließlich. Ein Windstoß trieb uns erste Regentropfen ins Gesicht, und Nilsson fröstelte sehr überzeugend. »Vielleicht drinnen?«
    Wir gingen in die Werkstatt. Ich wischte meinen Arbeitshocker für ihn sauber, holte Maikes alten Korbsessel dazu, setzte Kaffeewasser auf und spülte zwei Becher. Nilsson schlenderte an den Regalen entlang. Auf die Keramikarbeiten in Maikes Hälfte der Werkstatt warf er nur einen flüchtigen Blick, mit meinen Leuchttürmen und bunten Schmuckschalen war er ähnlich schnell fertig. Vor den Tierfiguren auf dem Tisch blieb er etwas länger stehen. Dann betrachtete er die Chemikalien und Farbtöpfe im Regal. Ich löffelte Kaffeemehl in die Becher und goss Wasser auf.
    »Milch oder Zucker?«
    »Nichts, vielen Dank.«
    Ich trug die Becher zum Arbeitstisch und stellte sie vorsichtig am Rand ab. Dann schob ich die Tierfiguren mit den Fingernägeln Richtung Fenster.
    Zwei Spinnen, zwei Schildkröten, zwei Schlangen. Eine wohlhabende Hamburgerin hatte die Arche Noah bei mir bestellt, um sie ihrem Seniorenheim zu Weihnachten zu schenken. Endlich mal keine Krippe, hatte sie gesagt, und ich hatte zugestimmt und gedacht: Endlich mal keine pfeiferauchenden Seebären. Zwei Wochen lang hatte ich mit Begeisterung Giraffen, Antilopen, Tiger, Krokodile, Emus, Mäuse und Schnecken modelliert. Jetzt fragte ich mich plötzlich, was die Kundin davon halten würde, dass Noah lauter wilde, nutzlose Tiere vor der Flut rettete. Nicht ein einziges Rind oder Schwein oder Pferd.
    Draußen kam die Sonne hinter einer Wolke hervor, die Figuren glänzten auf. Ich bewegte den Kopf, so dass die Lichtreflexe über Spinnenkörper und Schildkrötenbeine wanderten. Keine matten Stellen. Immerhin.
    Nilsson war zu mir getreten. »Haben Sie das gemacht?«
    Was für eine blöde Frage, dachte ich, aber er meinte gar nicht die Tiere. Sondern mein Mobile, ein schwebendes Etwas aus Draht, Fäden, Treibholz, Möwenfedern, Stein und rundgeschliffenen Glasscherben. Die meisten Besucher der Werkstatt sehen es gar nicht.
    »Ist das so eine Art Traumfänger?«
    Ich nahm meinen Kaffeebecher vom Tisch. »Es hängt einfach da, weiter nichts.«
    Der Becher hinterließ einen nassen Ring. Ich wischte die Tischplatte mit dem Hemdsärmel trocken, setzte mich in den Korbsessel und stützte den Becher auf die Armlehne. Nilsson setzte sich auf den Hocker und griff nach seinem Kaffeebecher.
    »Erst umrühren«, sagte ich, »damit das Mehl nach unten sinkt.«
    Er blickte verblüfft umher. Vermutlich fragte er sich, ob wir uns nicht einmal eine Kaffeemaschine leisten konnten.
    »Was ist nun mit Dhanavati? Und warum kommen Sie deshalb zu uns?«
    Er antwortete nicht sofort, sondern sah mich an, offen abschätzend. Sosehr ich mich bemüht hatte, ihm zu zeigen, dass er hier auf meinem Terrain war, dieser Blick bewies mir, dass er meine Manöver gar nicht bemerkt hatte. Er fühlte sich als Herr der Lage. Seine Zurückhaltung war nur eine höfliche Pose.
    »Nehmen Sie es mir bitte nicht übel – aber verraten Sie mir erst einmal, wer Sie sind?« Er lächelte, ein sehr charmantes Lächeln. »Nichts für ungut, aber die Sache ist eigentlich vertraulich.«
    Eigentlich. Eigentlich hatte er darum gebeten, mit mir sprechen zu dürfen. »Ich heiße Annika Otten. Ich wohne hier. Mit Adrian Barnes. Ich bin seine Freundin. Lebensgefährtin.«
    »Und Sie kennen Frau Doktor Reinerts?«
    »Doktor? Ist sie Ärztin geworden wie ihr Onkel?«
    »Sie ist Mathematikerin.« Er zögerte kurz. »Sie sollte bei einem unserer Projekte mitarbeiten. Im Moment ist sie aber unauffindbar, und sie hat auch niemandem gesagt, wann sie wiederkommt. Dadurch hängen wir jetzt ziemlich in der Luft.« Er griff nach dem Kaffeebecher und trank einen Schluck. »Sie haben nicht zufällig

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