Viviane Élisabeth Fauville
könnten sich Ihrerseits für sie interessieren, sie fragen, ob sie Kinder hat, sich nach ihrer Lebenslage erkundigen. Es ist Ihnen scheiÃegal. Und da Sie nun mit der Erzählung Ihrer Missgeschicke am Ende sind, tauchen Sie ein in die Erinnerung an die gegenwärtige Zeit, in der man Ihnen keine MuÃe zum Klagen lässt. Die Staatsgewalt drängt Sie, Ihre Absichten offenzulegen, Geldoder Erbschaftsfragen. Kontoauszüge müssen vorgezeigt, Ausgaben belegt werden, Sie können sich gar nicht vorstellen, sagen Sie zu Ãlisabeth, was man Ihnen nach einem Verbrechen für Fragen stellt.
Gut, sagt diese, mit der Spitze ihres Messers die Auberginen aus der Ratatouille schiebend, ich denke, ich werde dann mal gehen.
Sie haben Ihre Zuhörerschaft ermüdet. Nun hüllt sie sich in ihren grauen Mantel, lässt einen Geldschein auf dem Tisch liegen, ohne sich um das Wechselgeld zu kümmern oder sich bei Ihnen zu verabschieden. Der Mantel durchquert den Saal, streift die Tische, überstehende Gabeln und Brotkörbchen mitreiÃend, und verlässt das Café, magnetisch angezogen von seinem geheimnisvollen Ziel. Sie werden nichts weiter über Ihre Gesprächspartnerin erfahren. Ihre Gesichtszüge werden schon schwächer in Ihrem Gedächtnis, und sogar ihren Namen haben Sie vergessen.
Die Gesprächspartnerin, Viviane mit Namen, geht den Boulevard Sébastopol in Richtung Châtelet hinunter bis zu einem Taxistand, von dem aus ein im Département 93 zugelassener Mercedes sie innerhalb von acht Minuten zur Rue des Ãcoles bringt. Ohne sich die Mühe zu machen, dem jungen Rezeptionisten zuliebe Erklärungen zu erfinden, steigt sie zum Zimmer 17 hinauf, wo es 23 Uhr 09 ist. Vor genau hundertzwanzig Minuten ist sie fortgegangen, das Baby wacht gar nicht richtig auf, sie trägt es in das Taxi, das unten wartet.
10
Die Ausgabe des
Parisien
vom nächsten Morgen teilt mit, dass die Witwe vorläufig festgenommen wurde. Der Artikel ist illustriert mit einem Foto, das sie am Eingang des Kommissariats zwischen zwei uniformierten Polizisten zeigt. Es handelt sich um eine fünfzigjährige schlanke, elegante Frau â der Arzt muss gut verdient haben. Ich versuche ihren Charakter zu erahnen, aber es ist ein auf schlechtem Zeitungspapier gedruckter Schnappschuss. Er verrät nichts, auÃer dass die Frau zweifellos lieber woanders wäre, in einem Teesalon vielleicht, um ein Törtchen zu verspeisen, oder mit ihren Freundinnen Ausstellungen besichtigend, während die Ehemänner in ihren gediegenen Büros arbeiten. Der Artikel erklärt nur, dass die Polizei sie verdächtigt, weil sie ein Doppelleben führt, und zwar in der Rue du Roi-de-Sicile mit diesem Silverio Da Silva, den sie neulich festgenommen und wieder freigelassen haben.
Dann, am übernächsten Tag, kommt eine neue Wendung. In derselben Angelegenheit wird jetzt ein gewisser Tony Boujon vernommen, ein dreiundzwanzigjähriger Druckereiarbeiter. Es handelt sich um einen Patienten des Arztes â einen vorbestraften Patienten. Kurz vor dem Sommer hat er sich eine Waffe beschafft, um ein junges Mädchen am Ausgang des Paul-Valéry-Gymnasiums anzugreifen. Die Ermittler haben das Zimmer durchsucht, das er noch bei seinen Eltern bewohnt, in der Rue Montgallet, im 12. Arrondissement, und aus dieser Ãberprüfung geht hervor, dass der junge Mann eine hübsche Messersammlung besitzt.
Somit ist die Witwe wieder frei, und ich beziehe sogleich Stellung in der Rue du Roi-de-Sicile. Es war nicht schwer, die Adresse ausfindig zu machen. Plötzlich in den Vordergrund geschleudert, haben die Protagonisten der Rubrik Vermischtes keine Zeit gehabt, sich auf die rote Liste setzen zu lassen, sie stehen im Telefonbuch. Im Internet ist es zudem ein Leichtes, sich den Standort ihres Häuserblocks anzuschauen, darüber hinwegzufliegen und sogar eine Vorstellung der Hausfassade zu bekommen. Am Ende habe ich einen Hauseingang lokalisiert, wo ich Posten beziehen kann.
Diesmal mache ich nicht so viel Aufhebens um das Einschläfern der Kleinen, die einen kleinen Aufstand gemacht hat, als ich meinen Beschäftigungen nachgehen wollte. Ich habe ihr die Mittel verabreicht, die angeblich für unter Sechsjährige schädlich sein sollen, aber ich kenne diese Kräutertees, sie schläfern nur die Toten ein: Sie werden höchstens eine leichte Schläfrigkeit bewirken. Dann verlasse ich die Wohnung
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