Viviane Élisabeth Fauville
nach Abschluss der Inspektion fort, dass er diese alte Geliebte hatte.
Sie ist halb so alt wie du, wendet er ein.
Alt â was die Dauer ihres Verhältnisses angeht, wischt sie den Einwand weg. Alt â alte Schule, fährt sie per Assoziation fort. Dieser arme Jacques. Mit einer Studentin zu schlafen. Wer schläft schon heute noch mit seinen Studentinnen?
Jede Menge Leute, antwortet der Mann genervt. Ich zum Beispiel.
Gut, schlieÃt sie in einem Tonfall, der etwas Endgültiges hat, du wirst sicher noch zu tun haben. Gib Mutti einen Kuss von mir.
Gut, dass ich gekommen bin, sagt er zum Abschluss, wobei er aussieht, als meine er das Gegenteil. Na, das bin ich ja gewohnt.
Die Witwe beobachtet ihn kalt, während er seine Jacke überzieht und im Schnee verschwindet, und ich denke, dass es tatsächlich eine gewisse Ãhnlichkeit zwischen den beiden gibt. Der gleiche Teint, das gleiche Silberblond, die gleiche SüÃlichkeit der Züge, aber ihre Anordnung ist eine ganz andere: Während sie bei ihr ein harmonisch durchdachtes Projekt umzusetzen scheinen, fliehen sie bei ihm in lauter entgegengesetzte Richtungen, was zu einem chaotischen Durcheinander führt. Dann setzt sich die Witwe auf den freigewordenen Platz auf der Polsterbank und greift nach der Nachmittagszeitung â von der Sorte, die wenig Platz lassen für die Rubrik »Verschiedenes«.
Ich muss mit ihr reden. Sie ist da, vor meinen Augen, als hätte sich in den letzten Tagen nichts AuÃerordentliches zugetragen, die Frau des Mannes, dem ich alles anvertraut habe. Ich stehe auf und gehe zu ihr hin, in aller Bescheidenheit sage ich Pardon, entschuldigen Sie bitte die Störung, ich bin eine Freundin von Angèle.
Die Witwe taxiert mich aus ihren grauen Augen.
Jaaa? sagt sie, nicht sicher, ob sie mir eine Audienz gewähren soll.
Schnell fahre ich fort: Ich würde gerne mit Ihnen reden, das heiÃt, Angèle hat mich gebeten, mit Ihnen zu reden.
Sind Sie mir gefolgt?
Ein bisschen, muss ich errötend zugeben, aber Sie können beruhigt sein, ich habe von Ihrem Gespräch nichts mitbekommen.
Das ist egal, mein Bruder ist ein Dummkopf. Sie folgen mir also?
Ich sehe ihr an, dass sie sich irgendwie geschmeichelt fühlt, also nehme ich Platz. Mein Name ist Ãlisabeth, sage ich, ihr die Hand hinstreckend.
Sie können mich Gabrielle nennen, gesteht sie mir zu, ohne die ihre vom Fleck zu bewegen.
Ich nehme Anlauf und springe blind ab: Es ist so, Angèle hat sich überlegt, dass man sich doch arrangieren können müsste. Sie hat mit dieser Geschichte â mit dieser schrecklichen Geschichte, füge ich vorsichtshalber hinzu â nichts zu tun, und sie ist überzeugt, Sie auch nicht. Ihr Mann hat viel von Ihnen gesprochen, sie hat eine sehr hohe Meinung von Ihnen. (Gabrielle streichelt verträumt ihre seidig matten Wangenknochen.) Angèle, sage ich noch einmal, hat überhaupt keine Lust, einen Rechtsstreit anzufangen. Sie weiÃ, dass ihr nichts zusteht, aber sie ist jung und muss dieses Kind groÃziehen.
Sie denken also alle nur ans Geld? erbost sie sich plötzlich.
Ich weià nicht, sage ich in servilem Ton. Geld, Liebe â wer das eine nicht findet, nimmt das andere, glauben Sie nicht?
Die Witwe sinnt dieser Bemerkung nach, als frage sie sich, was ihr wohl zusteht, Geld oder Liebe, scheint dann zu einem für sie schmeichelhaften Ergebnis gekommen zu sein, denn sie lächelt erneut ihr für Fotografen antrainiertes Lächeln.
Und Sie, wer sind Sie? Ihre Frage trifft mich unvorbereitet.
Eine Freundin. Eine Freundin aus den Alpen, sage ich schnell. Dort machen wir nicht so viele Umstände, erkläre ich, in der Hoffnung, das möge ein wenig mein Benehmen entschuldigen.
Man merkt gleich, dass Sie nicht von hier sind.
Ich lasse mir die Schmach nicht anmerken, aber in Wahrheit habe ich keinen Stolz mehr. Ich bin der Spielball der Umstände, und ich habe beschlossen, mich nicht dagegen zu wehren, mich vom Wind tragen zu lassen. Ich höre mich antworten, Sie haben Recht, ich habe keine Manieren, und wir haben oft gedacht, Angèle und ich, dass wir gern so wären wie Sie.
Der arme Jacques hat mir umgekehrt kein Wort von Angèle erzählt, und noch weniger von Ihnen, sagt sie erheitert. Natürlich wusste ich von ihrer Existenz, aber gebrüstet hat er sich damit auch wieder nicht. Soll ich Ihnen meine Geschichte erzählen? fügt sie hinzu, wie
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