Viviane Élisabeth Fauville
von einer plötzlichen Inspiration geleitet.
Vor zweiundfünzig Jahren mit Namen Sherbatoff geboren, hatte Gabrielle nach der Schule mit Medizin angefangen. Ihren Mann hatte sie aber nicht an der Fakultät kennengelernt, sondern im Wartezimmer des Meisters, der alle seine Termine durcheinanderbrachte, so dass man oft zu viert oder fünft dort saÃ. Gabrielle verlor das Medizinstudium aus den Augen, weil Jacques seines bereits abgeschlossen hatte und eine Praxis eröffnete, die sehr gut ging.
Er hatte sich vorgestellt, dass sie ihm bis in die kleinsten Details hinein seinen der Praxis und der Forschung gewidmeten Alltag erleichtern würde. Von allen haushaltlichen Belangen freigestellt, hätte er jede Freiheit, die groÃen Achsen seines Werkes zu entwerfen, die Schattenbereiche der Psyche zu erschlieÃen, und immer hätte er ein freundliches Wort, nach Abschluss seiner Tätigkeiten, um seiner Gattin für die Fürsorge zu danken, die sie ihm unablässig und hingebungsvoll angedeihen lieÃ.
Irrtum. Gabrielle sollte es energisch ablehnen, sich in diese wenig beneidenswerte Form pressen zu lassen, und der Arzt würde nie an den Meister heranreichen: Da man ihn als Paragraphenreiter und Starrkopf kannte, verlieà man sich auf ihn, wenn es darum ging, dienstliche Probleme zu regeln, für unpopuläre Entscheidungen geradezustehen, aber niemals wurde auf der Grundlage seiner Forschungsarbeiten ein Symposion organisiert oder die Sondernummer einer Zeitschrift koordiniert. Aus reiner Höflichkeit zitierte man ihn in den Bibliographien.
So wenig sich Gabrielle um ihren Haushalt kümmerte, so sehr kümmerte sie sich um ihre Person und insbesondere um ihren Geist. Nachdem das Problem des materiellen Unterhalts geregelt war, besuchte sie ein Seminar nach dem anderen, erweiterte ihren Horizont und ging sogar so weit, zwei oder drei Artikel zu schreiben, die sehr gut aufgenommen wurden. Für den Arzt war das Grund zu immer neuen Irritationen. Dann fiel ihm ein, welchen Vorteil er aus der Sache schlagen konnte. Nachdem er es aufgegeben hatte, seine Karriere selbständig voranzutreiben, traf er mit ihr eine kleine Vereinbarung: Er würde weiterhin ihren Lebensunterhalt bestreiten; im Gegenzug verpflichtete sich Gabrielle, die eine oder andere Studie abzufassen, deren Urheberschaft er übernehmen würde. Auf diese Weise siechte ihr Verhältnis dahin, ohne dass es zu einem Bruch gekommen wäre. Jeden Sonntag traf man sich in der Rue du Pot-de-fer, um die laufenden Projekte zu besprechen und Rechnungen zu begleichen, bevor man sich am frühen Abend bester Laune wieder trennte: Gabrielle kehrte zu Silverio Da Silva und Jacques zu seinen eigenen Angelegenheiten zurück.
Gabrielle ist nun still, während ich meine zittrigen Hände unter dem Tisch verberge. Sie lächelt selbstzufrieden. Ich greife nach dem Metallgestell in der Mitte der Tischplatte und umklammere es, bis meine Handflächen brennen. Ich knete meine Knie, spüre meine Fingernägel durch den Hosenstoff hindurch, dann mache ich mich an die Haut der Schenkel heran, und das verschafft mir eine gewisse Erleichterung. Allmählich entspannen sich meine Glieder, endlich habe ich mich beruhigt: Ich hole meine Hände wieder hervor und schenke Tee ein.
Was für eine Geschichte, sage ich, zum Zeichen meiner Ungerührtheit.
Gefällt sie Ihnen? antwortet die Witwe. In diesem Fall können Sie sie gerne der jungen Angèle erzählen. Oder ich kann es auch selbst tun, wenn Sie mir ihre Telefonnummer geben. Aber dass sie sich bloà kein Geld verspricht.
Ich habe mein Handy nicht mitgenommen, da sind die Nummern drin, sage ich, den Blick auf Gabrielle gerichtet, und ich trinke einen Schluck, um Zeit zum Nachdenken zu haben, denn mir ist augenblicklich eingefallen, dass ich das Gerät auf dem freien Stuhl zu meiner Linken abgelegt habe. Als ich die Nase wieder von meiner Teetasse hebe, starrt sie nacheinander auf das Telefon und auf mein lügnerisches Gesicht. Beim Aufstehen streife ich ihre Hand ab, die mich am Ãrmel zurückzuhalten versucht, rabiat stoÃe ich sie zurück, als sie ihrerseits aufsteht und mich mit Gewalt festhalten will, dann mache ich mich aus dem Staub.
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Viviane, denke an deine Karriere. Du weiÃt, dass du nicht mehr zwanzig bist und die jungen Mädchen im Hinterhalt liegen, bereit, deine Stelle zu übernehmen, dir den Hals umzudrehen. Vielleicht sitzen sie
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