Viviane Élisabeth Fauville
ihren Körper durchziehen und behindern. Sie geht ruckartig vorwärts, besinnt sich anders, hält an einer Bushaltestelle an, um den Plan der Buslinien zu studieren, und wendet ihren Schritt dann nach Westen. Ich trete aus dem Café, umrunde den Brunnen, wobei ich meine Beute im Auge behalte, die sich langsam in einer Ecke meines Blickfeldes vorwärts bewegt, und folge ihr ohne übertriebene VorsichtsmaÃnahmen. Ein säuerlicher und eisiger Novemberregen fällt vom Himmel, der in die Nähte der Schuhe eindringt, bis zu den Knien hochsteigt und jeden späteren Wieclererwärmungsversuch im Voraus zunichtemacht.
Am Pont Saint-Michel angekommen, zieht die junge Frau noch einmal die öffentlichen Verkehrsmittel in Erwägung, von denen es hier eine viel gröÃere Auswahl gibt â Metro, Bus, Vorstadtbahn â, beschlieÃt, weiter zu Fuà zu gehen, und jetzt überqueren wir die Brücke. Ich mag keine Brücken. Ich mag nicht, worauf wir uns zubewegen, den Quai des Orfèvres und die schräggeparkten Kleinbusse der Gendarmerie, die gelöschten Scheinwerfer, die mich aus ihren toten Augen betrachten. Wir gehen am Sitz der Kriminalpolizei vorbei, an den pfeilspitzen Gittern des Palais de Justice, an einer Seite der Conciergerie, durchqueren die Ãle de la Cité und landen schlieÃlich auf dem Pont au Change, wo ich besser atmen kann, es muss der Luftzustrom sein, und ich halte mich zurück, um diejenige, die da immer noch gemächlich vor mir unterwegs ist, nicht zu überholen, denn den Mauern der Ãle de la Cité entronnen, möchte ich plötzlich rennen.
Die junge Frau hat es nicht eilig. Sie geht in Richtung Rue de Rivoli, bummelt ein wenig vor dem erleuchteten Schaufenster eines Schuhgeschäfts und biegt auf der Höhe des Centre Pompidou rechts ab. Ich sehe schon meinen Plan ins Wasser fallen, als sie sich einer Tür mit Codesicherung nähert, aber dann kehrt sie um und geht auf eine Brasserie zu. Ihre Absicht erahnend, schwenke ich schnell nach links, trete vor ihr ein und nehme die Szenerie in Augenschein.
Die einsamen Gäste sind auf der langen gepolsterten Sitzbank aneinandergereiht, gegenüber dem Fernsehgerät, das in gedämpfter Lautstärke ein FuÃballspiel überträgt. Die meisten Plätze sind besetzt, aber in der Nähe der Theke mache ich zwei freie Tische nebeneinander aus und setze mich an einen von ihnen; ohne einen Blick auf die Person zu werfen, die gleich nach mir eingetreten ist, wähle ich den Tisch, der näher an der Heizung steht. Auf der kunststoffbeschichteten, aus drei Flügeln bestehenden Karte werden Fleischgerichte mit Pommes oder Gemüse angeboten. Ich nehme die Bavette, sage ich zu dem Kellner, der gekommen ist, meine Bestellung aufzunehmen, und da ich dafür die Augen von der Karte hebe, tue ich so, als würde ich den runden Bauch der jungen Frau bemerken, die sich zu meiner Linken niedergelassen hat. Ich bitte um Entschuldigung â ob sie sich nicht vielleicht lieber an die Heizung hätte setzen wollen?
Aber nein, ihr ist warm, schrecklich warm, auf gar keinen Fall will sie den Platz an der Heizung. Sie bedankt sich aber, zeigt sich angenehm berührt von meiner Aufmerksamkeit, denn Sie glauben nicht, wie die Leute sich, um ihre Klappsitze zu sichern, blind stellen im Bus und vorsätzlich den gewaltigen Bauch ignorieren, der über ihren Kreuzworträtseln schwebt. Ich kann es mir lebhaft vorstellen, sage ich, hocherfreut, dass Angèle â so ihr Vorname, umstandslos hat sie sich vorgestellt â sehr gesprächig ist.
Man denkt, die Zeugen von Verbrechen seien bestürzt, beklommen. In Wahrheit haben sie ein starkes Bedürfnis zu reden. Sie verlangen nach anderen Zeugen, die bestätigen, was sie gesehen haben, und den Schaden, den sie genommen haben, anerkennen. Die junge Frau hält mir ihr Gesicht hin, das den milchigen Teint der Rothaarigen hat, ihre groÃen, mit provinzieller Treuherzigkeit angefüllten Augen. Angèle möchte ihr Herz ausschütten, jeder wäre ihr dazu recht. Ich bin ein Schatten, ein Behältnis, ich sage Freut mich, ich bin Ãlisabeth.
9
Sie sind der Kollateralschaden eines Verbrechens, und Sie können es nicht fassen. Was Sie angeht, so ist die Welt am Dienstagmorgen zusammengebrochen, als Sie den leblosen Körper des Arztes entdeckt haben, mitten in seiner Praxis, zu der Sie einen Schlüssel hatten. Seither
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