Viviane Élisabeth Fauville
durchwandern Sie ein Trümmerfeld in Erwartung eines ebenso übernatürlichen Ereignisses, das alles wieder aufrichten wird.
Sie sind sechsundzwanzig Jahre alt. Geboren im Département Hautes-Alpes, sind Sie dort immer noch bei Ihren Eltern gemeldet, aber Sie wohnen seit dem Abitur in Paris. Sie ziehen von einer Ein-Zimmer-Wohnung in die nächste, je nach Studienverlauf, bezahlen die Miete teils mit einem Stipendium (Sie kommen aus bescheidenen Verhältnissen), teils von dem Geld, das Sie mit Gelegenheitsarbeiten verdienen. Sie sind jetzt Doktorandin. Bis zu seinem plötzlichen Tod standen Sie Ihrem Doktorvater sehr nahe.
Wie das? fragt Ãlisabeth, die das Bild erhellen möchte.
Sie scheuen sich keineswegs zu antworten. Ihr Publikum soll sich die Situation getreu ausmalen können, um Sie womöglich in einen Winkel zu führen, dessen Existenz Ihnen nicht bewusst war, und von dem aus das Bild wie in einer Anamorphose sichtbar würde.
Vor fünf Jahren haben Sie es unternommen, einen Professor zu verführen, dessen altmodisches Gebaren Sie rührte. Sie hatten schon immer einen seltsamen Geschmack. Ihre Kommilitoninnen würden ihm augenfälligere Figuren vorgezogen haben, die Stars der Universität, die lässig mit der eigenen Bedeutung spielten, mit ihrem Denken und den dramatischen Schleuderbewegungen ihrer Unterarme brillierten, wenn sie mit ihrer Brille durch die Luft fuhren. Als Einzige hatten Sie auf Professor Sergent gesetzt, Sie hörten kein Wort seiner Vorlesung, die er unter Mühen abhielt, so sehr waren Sie damit beschäftigt, ihn aus halb geschlossenen Augen zu bewundern. Und Ihre Einbildungskraft ihn betreffend erwies sich als derart fruchtbar, dass Sie bald Ihren Träumereien ein Ende setzen mussten: In der Stille des Hörsaals fürchteten Sie, einen allzu vielsagenden Seufzer von sich zu geben.
Monatelang haben Sie sich vor dem Pult die Beine in den Bauch gestanden, haben belanglose Fragen gestellt, insistiert und immer gröÃere Pausen entstehen lassen, bis er Ihnen vorschlug, doch im Café weiterzureden. Dort nährte sich das Gespräch hauptsächlich von Räuspern und Wimpernschlagen. Es war noch weit schwieriger, eine Einladung ins Restaurant zu erreichen, und bis zu einer Verabredung in der Praxis des Arztes, nach Feierabend, würden noch Monate vergehen.
Von seiner Ehefrau im Stich gelassen, verfügte Jacques nur über kärgliche Erfahrung in Liebesdingen. Sie erinnern sich voller Zärtlichkeit daran, wie seine drallen Finger sich unter Ihre Säume verirrten, ohne sich richtig vorzuwagen. Nein, der Arzt war nicht gerade ein Draufgänger, allenfalls mit der einen oder anderen Patientin hatte er etwas gehabt gegen Ende der Analyse, wenn die Langeweile so groà wurde, dass man schlieÃlich übereinander herfiel, nur damit überhaupt etwas geschah. Er hatte festgestellt, dass diese Taktik die Auflösung des Ãbertragungsvorgangs erheblich beschleunigte. Drei Wochen später sah man sich immer seltener und nach zwei Monaten gar nicht mehr. Wenn Sie aber einen Einwand erhoben, bewaffnet, wie Sie waren, mit Ihren altersgemäÃen Ãberzeugungen und den an der Universität gelehrten Prinzipien, spöttelte er über den Fanatismus der Jugend, um Ihre Verteidigung zu untergraben. Und Sie, die Sie sich auf der Couch entblätterten, um eine weniger direkte Vorgehensweise zu vermeiden, Sie waren am Ende ein wenig enttäuscht. Enttäuscht und schwanger mit diesem Kind, auf das Sie jetzt zeigen, in Ihrem Bauch, der hinter dem Tisch eingeklemmt ist, wo man Ihnen soeben ein Paar Frankfurter mit Pommes serviert, während Ihre Tischnachbarin vor ihrer kaltgewordenen Bavette-Ratatouille sitzt und Sie mit der Fassungslosigkeit derer ansieht, die noch nie die Zeugin eines echten Verbrechens gesehen haben.
Sie sind nun in Schwung, Sie ersparen ihr nichts. Sie erzählen, wie der Doktor die Neuigkeit aufgenommen hat (von seinem hohen Ross aus, mit unbeteiligter Miene), wie er sich über die junge Angèle Trognon (das ist Ihr Name) lustig gemacht und ihr frei heraus erklärt hat, er würde seine Gattin nicht für eine Studentin sitzenlassen.
Ist es ein Mädchen? fragt Ãlisabeth unvermittelt.
Es ist ein Mädchen, bestätigt Angèle. Woher wissen Sie, dass es ein Mädchen ist?
So eine Idee.
Sie beobachten Ihre Tischnachbarin, die ihren Teller noch immer nicht angerührt hat. Sie
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