Viviane Élisabeth Fauville
bei vollaufgedrehten Heizkörpern; es ist mir lieber, wenn meine Tochter es warm hat.
Die Kälte dringt mir zwischen die Ohren. Manchmal muss ich beiseitetreten, um einen Anwohner vorbeizulassen, und ich benutze mein Mobiltelefon, um mir den Anschein von Gelassenheit zu geben. Ich tue so, als würde ich eine wichtige Nachricht eintippen, aber es ist wie immer, niemand bemerkt mich. Ich bin ein Ding auf ihrem Weg, ein Hindernis, dem es auszuweichen gilt, und ich habe keine Ahnung, wie lange ich in dieser Späherposition verharren muss.
Dicke Flocken beginnen zu fallen. Sie halten dem Asphalt stand, tapezieren bald alle Ecken der Landschaft, Simse, Ãste, Vorsprünge, Blumentöpfe, stillstehende Scheibenwischer, mülltrennende Tonnen, Terroralarm-Abfalleimer aus durchsichtigem grünem Plastik, Verpackungskartons, diversen Sperrmüll. Ich notiere mir im Geiste die Stellen, wo der Schnee eindringt, um mir die Zeit und die Kälte zu vertreiben. Ich habe nicht die richtigen Schuhe an für dieses Wetter, habe auch keine Handschuhe mitgenommen noch die Wettervorhersage angesehen. Ich muss an so vieles denken dieser Tage.
Von einem Fuà auf den anderen tänzelnd, zögere ich, weiter hier Wache zu stehen. Die Witwe wird wohl heute auf das Ausgehen verzichten. Ich überlege, was ich an ihrer Stelle täte. Mitgenommen von den Ereignissen, würde ich mich von den Fenstern fernhalten, würde, in einem Sessel vergraben, den Knochen meiner Schuld bis aufs Mark abnagen und bloà noch leben durch die Kraft des Grolls. Ich würde mich vernachlässigen, würde die abgenutztesten Kleider tragen, meine Augenbrauen nicht mehr zupfen, und es würde mir eine dritte Braue über der Nase wachsen.
Gegen vier wagt sie sich dann doch heraus. Ich merke sofort, dass es sich um die Sorte Frau handelt, die ich nicht mag. Selbstbewusst in ihre Pelze und blonden Haargeschlinge gehüllt, sieht sie aus wie eine WeiÃrussin. Ihre Absätze klimpern leicht auf dem Gehsteig, hingerissen eilt sie durch den Schnee. Meine vom Warten klammen Beine hinter ihr hertreibend, folge ich ihr in die Rue de Turenne, wo ich kämpfen muss, um mich nicht abhängen zu lassen. Die immer dichter fallenden Flocken verwischen die Konturen, und ich rempele Passanten an, verdrehe mir den Knöchel zwischen Kinderwagenrädern. Dabei bin ich keine schlechte Läuferin, aber die Frau des Arztes scheint vom Wind vorangepustet, und ich in seine Wirbel verheddert.
Sie tritt in ein Café an der Ecke der Rue de Turenne und der Rue de Bretagne ein, sucht mit den Augen einen Mann, den sie ganz hinten im Saal findet, mit dem Rücken zum Spiegel. Ich setze mich zwei Tische weiter und konzentriere meine Aufmerksamkeit auf die Stimmlagen, die der Frau, nach Ablegen des Mantels in ein kurzes schwarzes Kleid eingeschnürt, und die des Mannes, von dem es unmöglich ist zu sagen, ob er auÃergewöhnlich schön ist oder überhaupt nicht.
Die Witwe ist sehr unruhig, sie hat sehr vieles gleichzeitig zu erzählen. Ihr Gegenüber muss sie ständig unterbrechen, um sich dieses oder jenes für das Verständnis des Ganzen wichtige Detail erklären zu lassen. Aber in Wirklichkeit interessiert ihn nichts anderes als das Ende der Geschichte. Er möchte wissen, wo sie nun dran ist mit den Bullen. Jeder möchte gerne wissen, wo er dran ist mit den Bullen, ich zuerst, und die Frau des Arztes gibt sich alle Mühe, uns verrückt zu machen.
Beruhige dich, sagt sie, um Zeit zu gewinnen, ohne auf irgendeine seiner Fragen zu antworten, du lässt mich nicht reden, lassâ mich erzählen, ansonsten kannst du auch alles in der Zeitung lesen.
Ich habe die Zeitungen gelesen. Eine Festnahme nach der anderen, erst Silverio und dann du, und ich sage mir, dass man die Leute nicht einsperrt, ohne den geringsten Verdacht im Hinterkopf zu haben. Also erkläre mir, was los ist.
Aber du siehst doch, dass sie im Trüben fischen, lächelt sie. Sie versuchen es mit dem einen, dann werfen sie ihn wieder ins Wasser. Und Ausdrücke haben sie drauf, ich kann dir sagen, so redet eigentlich niemand mehr. Flatterhaftigkeit, Leidenschaft, Erbe â wir sind mitten in einer Provinzposse gelandet. Apropos, wusstest du, dass Angèle aus den Alpen kommt? Dann verstummt sie und widmet ihre Aufmerksamkeit dem Spiegel, zupft ihre sorgfältig in Unordnung gebrachte Frisur zurecht. Es ist ein Glücksfall, fährt sie
Weitere Kostenlose Bücher