Vogelfaenger
zwei bunte Biergartenklappstühle von einer der Uferterrassen und stellt sie ins seichte Wasser. Daneben drückt sie die Sektflasche in den Sand, sodass sie gekühlt wird.
»Ich kann noch eine Tüte Chips aus dem Zelt holen«, schlage ich vor, als ich aus dem Wasser komme.
»Au ja, ich esse zwar sonst keine wegen der Figur …«
Ich zeige ihr einen Vogel.
»… aber heute ist Urlaub.«
»Heute ist Urlaub!«, wiederhole ich, renne – mit dem kläffenden Rocky im Schlepptau – zum Zelt und hole die Chips, dann setze ich mich zu meiner Freundin. Rocky macht es sich am Ufer bequem. Die beiden Frauen brechen auf. Als Ida und ich also allein sind, nehme ich einen großen Schluck aus der Flasche und lege den Kopf in den Nacken: über mir Wolken, an meinen Füßen das laue Wasser.
»Ich hab hier sogar kleine Fischchen gesehen«, sagt sie.
»Fang einen, dann haben wir fish and chips.«
Sie lacht und greift nach der Flasche.
»Oh, guck mal, Ida: Schwalben!«
»Ich möchte auch ’ne Schwalbe sein. Flink und frei. Und wenn’s mir hier mal wieder zu kalt wird, flieg ich in die Südsee. Da hab ich nichts als Palmen und weißen Sand. Da bin ich ganz weit weg.«
»Wir sind doch jetzt weit weg.«
»Hoffentlich weit genug«, sagt sie so ernst, dass ich sie irritiert anschaue. Mag sein, dass sie Stress mit ihren Eltern hat, aber wer hat das nicht? Also, wenn hier jemand einen Grund hat, von zu Hause zu flüchten, dann bin ich das.
10
Nach meinem Sprung vom Dach des Bootshauses endete der Abend im Desaster. Ich war an Land geschwommen, in der Hoffnung, Tobias käme vielleicht doch noch, um mich – ja, so naiv war ich – zu beglückwünschen: wie eine Heldin, eine Goldmedaillengewinnerin, eine, die was Tolles gewagt und bestanden hat. Er kam nicht. Er ging direkt an die Bar und bewegte sich den ganzen Abend nicht mehr von dort weg. Ich krabbelte die Uferböschung hinauf und fing meine Kleidung auf, die Ida zum Päckchen zusammengelegt von oben zu mir herunterwarf. »Du kannst dich im Keller umziehen. Die Tür ist offen. Die lagern dort die Getränke.«
Ich nickte, tapste fröstelnd in den Kellerraum,schaltete das Neonlicht ein und schloss seufzend die Tür hinter mir. Ich war enttäuscht, dass nicht wenigstens Ida herunterkam, um mir Gesellschaft zu leisten und mich zu fragen, wie’s war. Mit Lehm an den Knien, einem blutenden Ratscher an der Fußsohle und nur meinem eigenen Unterhemdchen als Handtuch verzog ich mich hinter den Stapel mit den Bierkästen. Ich hatte mich gerade ausgezogen, als die Kellertür mit einem schabenden Geräusch rasch und energisch aufgeschoben wurde.
Diesen Moment versuche ich mit aller Macht aus meinem Gedächtnis zu verdrängen. Damals, direkt danach, hatte ich aber unbedingt darüber sprechen wollen. Ich wollte mich schluchzend in Tobias’ Arme werfen und den Schreck herausschreien; ich wollte kämpferisch mit dem Fuß aufstampfen und meinen Freund bitten, den Mann zu finden und zur Rede zu stellen. Aber mein Freund ließ mich nicht an sich heran.
Als ich eine Viertelstunde später an der Bartheke zu ihm stieß und ihn aufgeregt bat, mit mir herauszukommen, ich müsse ihm dringend etwas unter vier Augen erzählen, drehte er sich nur von mir weg, redete mit seinen Kumpels und behandelte mich wie Luft.
Enttäuscht, aufgewühlt und reichlich durcheinander floh ich auf die Damentoiletten, verdrückte dort ein paar Tränen, hoffte, dass Ida mich suchen und logischerweise hier, in diesem Schutzraum, finden würde, dachte, ich könnte notfalls auch mit Ida reden, wartete aber umsonst. Schließlich gab ich dieHoffnung auf, irgendwem mein Herz ausschütten zu können, beschloss, dieses Erlebnis einfach zu vergessen, redete mir ein, nie nackt in einem dunklen Keller gestanden zu haben, und versprach mir gleichzeitig, alles zu tun, um nie wieder in eine solche Situation zu kommen. Später gab ich mir einen Ruck, richtete notdürftig meine Frisur, erneuerte mein Make-up, genehmigte mir eine Wodka-Cola und suchte Ida auf der Veranda. Vergeblich. Als ich nach ihr fragte, hörte ich, sie hätte schon vor einer guten halben Stunde, gleich nach meinem Sprung, nach Hause gemusst, ließe mich aber grüßen. Das kannte ich ja schon von ihr, dass sie in Freundschaften nicht zuverlässig war. Die Verbitterung darüber, dass sie nach dem Volksfest nie mehr für mich Zeit gehabt hatte, kam wieder hoch. Ich holte mir noch etwas zu trinken und eine große Schale Erdnussflips, die ich ganz allein vertilgte.
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