Vogelfaenger
sie, schnappe erschöpft nach Luft. »Ich glaube, du hast recht.«
»Recht womit?«
»Dass hier irgendwas faul ist. Erstens hab ich unser Windrad gefunden. Es steht bei Jan.«
»Den mochte ich von Anfang an nicht.«
»Ich weiß. Aber ich bin mir nicht sicher, ob er es weggenommen hat, denn heute Morgen habe ich es nicht an seinem Wohnwagen gesehen und danach war er im Krankenhaus. Vielleicht hat jemand anders es dorthin gestellt. Derjenige, der heute Nachmittag auch in unserem Zelt war.«
»Jetzt glaubst du es also auch.« Ida sieht sich schaudernd um.
»Ja. Dieses Handy hat wieder geklingelt.«
Wir sehen uns an. »Es ist jemand im Wald«, flüstert Ida.
Ich nicke zerknirscht. »Sieht so aus. Aber frag mich bitte nicht, was der da macht.«
Ihre Antwort ist kaum zu verstehen, so leise und stockend kommt sie: »Ich hab Angst.«
»Stopp«, sage ich, »wir machen uns jetzt nicht verrückt, wir trinken Tee, warten auf die Jungs und denken nach.«
»Fabi und Hannes? Traust du denen?«
»Warum denn nicht! Außerdem: Was bleibt uns anderes übrig? Wir können nicht nach Hause fahren. Wenn ich jemandem erzähle, dass ich Angst vor einem Handyklingeln hatte, ist das die größte Lachnummer aller Zeiten.«
»Die Wespen waren auch noch da.«
»Die haben aber nicht telefoniert!«, rufe ich.
»Jan hat gesagt, ihr hättet ein Geräusch gehört, bevor die Viecher auf euch losgegangen sind.«
»Stimmt, irgendwas war da, aber …«
»Oder irgendwer. Die Nachbarin hat auch angedeutet, dass hier jemand rumschleicht. Ich hab’s nicht ernst genommen. Hab ’nen Fehler gemacht. Entschuldige.«
»Dafür brauchst du dich doch nicht zu entschuldigen!«
Ida hört mir gar nicht zu. Ihr Gesicht ist ganz starr und ernst. »Nele, was ich jetzt wissen will, ist wichtig. Wie hat das Handy genau geklingelt, mit welchem Rufton?«
»Kein Klingelton, eine Melodie.«
Sie stöhnt auf und schließt die Augen. »Ging die so?« Sie summt, summt genau die Melodie, die ich zwei Mal im Wald gehört habe.
In diesem Moment weiß ich, dass unsere Urlaubslaune endgültig dahin ist. »Ja. Das ist es.«
Sie hält sich die Nase zu wie eine Nichtschwimmerin. »Ich darf jetzt keine Panik kriegen. Ich muss ruhig bleiben, ganz ruhig.«
»Haben wir ein Problem?«, frage ich. Eine rhetorische Frage.
»Ein ganz gewaltiges.«
22
Alles ist vorbereitet, alles läuft nach Plan. Der Vogelfänger kontrolliert die gekauften Lebensmittel und prüft die Schärfe seines neuen Messers. Ein echtes Meisterstück ist ihm da in die Hände gefallen. Sein Blick fällt auf das Pärchen Wildgänse, das über die Wiese watschelt. Hiermit könnte er die problemlos ausnehmen und seinem Täubchen später in seiner Wohnung einen festlichen Gänsebraten servieren. Von Hause aus ist sie ja nur das Beste gewohnt. Gerade deshalb ist es ungeheuerlich, dass sie jetzt ausgerechnet mit dieser Schlampe zusammenhockt!
Es ist nicht das erste Mal, dass er unerträglich eifersüchtig auf ein Mädchen ist. Auf die Gans ist er es schon lange, aber es gab noch eine andere, die ihm zugesetzt hatte: Nadine. Bei ihr hatte es allerdings nicht lange gedauert, bis er sie sich vom Hals geschafft
hatte. Er hatte nicht mehr dafür gebraucht als eine Schere und ein paar deutliche Worte. Mit männlichen Konkurrenten hatte er bisher glücklicherweise wenig zu tun gehabt. Sein Täubchen hatte immer ausgestrahlt, dass sie keinen Freund wollte. Sie hatte wohl schon mit ihm genug. Er grinst in sich hinein.
Die Gans aber zieht die Männer an wie das Licht die Motten. Da blieb ihm gerade, als er nach dem Einkauf mit dem Auto Richtung Campingplatz zurückfuhr, praktisch nichts anderes übrig, als sich auch in diesem Punkt die Bahn etwas freizuräumen.
Jetzt gleitet sein Blick zu den Mädchen hinüber. Weiß sein Täubchen mittlerweile Bescheid? Gut, dann kann’s ja losgehen.
23
Im Schockzustand sehe ich uns beide von außen, sehe uns als Figuren auf einem alten Gemälde: Dicht zusammengeschmiegt wie Kaninchen hocken wir, zwei junge, leicht bekleidete Frauen und ein verspieltes Schoßhündchen, allein mitten in der grünen, üppigen Natur mit ihren Büschen, Baumschatten und grasenden Wildgänsen. Die eine von uns guckt sehr bang, die andere, ich, hat den Kopf gesenkt und die Hand auf die Schulter der Freundin gelegt. Wir sitzen auf einer bettlakenweißen Decke, die neben unserer rosigen Haut der einzige Lichtfleck im Gemälde ist. Das Zelt neben uns ist verschwindendklein und jeder Idiot sieht auf
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