Vogelfaenger
Sitzkissen benutzt.«
»Vielleicht ist er im Zelt.«
»Nein, da hab ich schon geguckt. Der ist weg.«
»Wie weg? Jetzt auch noch ein verschwundener Pullover?«
Zweifelnd sehen wir uns an.
»Das Fleece ist das einzige warme Kleidungsstück, das ich mithabe«, klagt Ida so besorgt, dass ich sie in den Arm nehme.
»Nun mach mal nicht die Pferde scheu. Der findet sich schon wieder.«
In dem Moment fährt das Wohnmobil ab. Die Erwachsenen – tief enttäuscht von der üblen Nele, die die Salbe annimmt, aber den Hund frei laufen lässt, ach ja – verzichten darauf, Auf Wiedersehen zu sagen. Nur der kleine Marius winkt uns aus dem Fenster zu.
»Und tschüss«, murmele ich.
»Hier wird’s immer leerer und einsamer.« Ida klingt so, als wolle sie gleich heulen.
»Aber nein. Fabi und Hannes müssten jeden Moment vom Einkaufen wiederkommen, die dicken Frauen sind noch da, der Angler und …«
»Und?«, fragt Ida hellhörig.
»Wilhelmine.«
»Wer?«
»Jans Katze. Ich glaub, um die müsste sich jemand kümmern. Weißt du was, ich laufe schnell zum Wohnwagen und lege ihr etwas Hundefutter hin.«
»Warte, dann komme ich mit.«
»Das dauert doch nur zwei Minuten!«
»Ich will aber nicht allein sein!«
»Mensch, Ida, nun spinn aber nicht«, sage ich fast ärgerlich. »Es ist nichts passiert. Nichts! Ein Fleece und ein Plastikwindrad werden vermisst, das ist alles.«
Ida gibt keine Antwort, blickt auf ihre zitternden Hände.
»Ich lasse dir Rocky hier. Und in zwei Minuten, wenn der Tee durchgezogen ist, bin ich zurück.«
»Okay.« Sie reibt sich über die Augen, greift nach der Zigarettenschachtel.
Rocky will mir natürlich nachlaufen, besonders weil er gesehen hat, dass ich sein Futter mitnehme, aber da er wenigstens einigermaßen erzogen ist, kann ich ihn dazu bringen, bei Ida zu bleiben. Im Laufschritt bewege ich mich über die Wiese auf den Waldrand zu. Ist da eine Bewegung unter den Bäumen? Eine Gestalt? Aber nein, Nele, jetzt spiel du nicht auch noch verrückt!
Ich trete unter die Bäume, wo es schattiger ist, trüber. Mein Herz schlägt dummerweise sehr, sehr heftig. Es ist das Gefühl, das ich immer hatte, wenn ich in Omas Keller gegangen bin. Omas Keller mit dem Katzenklo in der Ecke, den Regalen voller Einmachgläserund dem leise zischenden Ölofen hatte mir als Kind immer Angst gemacht. Aber meine Oma ist längst tot, ihr Haus abgerissen und der Ölofen verschrottet. Auch die Katze lebt nicht mehr. Eines Tages ist sie nicht mehr nach Hause gekommen und Oma war überzeugt, dass sie für Tierversuche eingefangen worden sei. Während ich mich jetzt zwinge, auf Jans abgewrackten Wohnwagen zuzugehen, mich auf den Holztisch zu stützen und den Namen der fremden Katze zu rufen, muss ich zum ersten Mal seit Langem wieder an Oma denken, wie sie dasaß, ganz allein und in sich zusammengesunken, und ihrer Katze nachtrauerte.
»Wilhelmine!«, rufe ich mit zitternder Stimme, bücke mich dann und schaufele mit einem Stöckchen etwas Hundefutter von Rocky auf die Erde neben der Eingangstür des Wohnwagens. Ich könnte Jan auch den Gefallen tun und seine Comichefte unter den Wohnwagen legen, damit sie bei Regen nicht nass werden, überlege ich, schaue mich um und stoße einen Überraschungslaut aus. »Gibt’s denn das?!«, rufe ich erbost. Da drüben steckt unser Windrad in der Erde. Unverschämt! Also hat Jan … Aber kann das sein? Und wieso ist mir das heute Morgen nicht aufgefallen?
Ich komme nicht dazu, den Gedanken zu Ende zu führen, denn ich zucke plötzlich zusammen. Was ist das? Die Handymelodie!
Mit beiläufiger Fröhlichkeit erklingt sie aus dem düsteren Dickicht direkt gegenüber. Wie eine Welle schauert mir die Gänsehaut über den Rücken.Gleichzeitig springe ich auf. Was hat das zu bedeuten? Beim ersten Mal habe ich die Melodie an ganz anderer Stelle gehört. Wenn das Telefon verloren gegangen ist, kann es nicht einmal hier und einmal hundert Meter weiter klingeln. Warum haben Jan und ich eigentlich nicht nach dem Handy gesucht? Irgendwie sind wir davon abgekommen.
Ich lasse die angebrochene Hundefutterdose fallen und renne los. Schreiend stürze ich aus dem Wald heraus und auf die Wiese. Unser Zelt steht als einziges klein und verloren mitten auf dem Platz. Im abendlichen Zwielicht hockt Ida davor und sieht mir mit offenem Mund entgegen. Rocky bellt. Wie klein sie sind, meine Freundin und mein Hund!
»Was ist passiert?«
Ich lasse mich neben sie auf die Picknickdecke fallen, lehne mich an
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