Vogelfrei
Pastete. »Na, wart's mal ab, als Nächstes spielen sie garantiert Amazing Grace.«
Cody verdrehte die Augen, dann begann sie davon zu schwärmen, wie gut all die Männer in ihren Kilts aussähen. Sie zog Ronnie, der sich mittlerweile auch eingefunden hatte, ein wenig auf, weil er keinen trug, und er erklärte, er fände die Dinger unbequem.
Cody nickte verständnisvoll. »Für viele von euch Jungs muss die raue Wolle auf der nackten Haut sicher unangenehm sein. Dylan macht das bestimmt weniger aus, der ist ja nicht beschnitten.« Sie biss kräftig in ihre Pastete.
Die Unterhaltung verstummte augenblicklich. Schweigen machte sich breit. Dylan spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg, er senkte den Kopf und pickte in seiner Hackfleischpastete herum. Raymond starrte seine Frau entgeistert an, und die Kids musterten Dylan verstohlen und kicherten leise.
Cody blickte in die Runde, schluckte den Bissen runter und fragte mit unschuldigem Augenaufschlag: »Was ist denn los?« Dann brach sie in Gelächter aus. »Was ihr immer gleich denkt! Wir waren vier Jahre alt und haben in den Büschen hinter der Garage seiner Eltern »Zeig mir deinen, dann zeig ich dir meinen< gespielt. Seitdem habe ich das gute Stück nicht mehr zu Gesicht bekommen. Also regt euch ab, Jungs.«
Die Mädchen begannen haltlos zu kichern, Dylan seufzte, und Raymond wandte sich an Cody. »Und? Hast du dich revanchiert?«
Wieder verdrehte sie die Augen. »Natürlich. Ich bin doch kein Drückeberger.«
Dylan räusperte sich vernehmlich. »Also ich für meinen Teil fühle mich in meinem Kilt sehr wohl, aber ich finde es nett von euch, dass ihr euch solche Gedanken um mich macht.«
Daraufhin wollten sich die Mädchen vor Lachen schier ausschütten.
Nach dem Lunch fanden die Schaukämpfe statt. Zuerst hielt Dylan den überraschend zahlreich erschienenen Zuschauern einen kurzen Vortrag über die Finessen des Schwertkampfes und führte im Zeitlupentempo einige Finten und Paraden vor. Dann lieferten Ronnie und er sich ein bis in die kleinste Bewegung einstudiertes und oft geprobtes Duell, komplett mit Dialog. Dylan spielte den jakobitischen Helden, der seine Heimat verteidigt; Ronnie, der sich als Lowlandgeck ständig mit der freien Hand mittels eines Spitzentaschentuchs Luft zufächelte, wurde von der Menge lautstark ausgebuht. Beiden fiel es schwer, ein ernstes Gesicht zu wahren, während sie sich gegenseitig als »Niederträchtiger Schuft!« und »Schmieriger Sassunach! beschimpften. Endlich brach Ronnie pathetisch zusammen und starb einen wenig überzeugenden Bühnentod, während Dylan breit grinsend sein Schwert in die Scheide zurückschob.
»Stümper«, sagte er, als er seinem Assistenten auf die Beine half. Ronnie lachte nur und verneigte sich in Richtung des Publikums.
Nachdem auch Dylan sich verbeugt und den Applaus der Zuschauer entgegengenommen hatte, führte er sein Gefolge zu den Tischen, wo die Schwerter ausgestellt wurden. Er wollte die Gelegenheit nutzen, um seinen Schülern einmal eine größere Auswahl verschiedener Waffen zu zeigen; seine eigene Sammlung nahm sich dagegen eher bescheiden aus. Er wies auf die Unterschiede zwischen englischen und schottischen Breitschwertern hin (herrlich gearbeitet die einen, schlichter, aber dafür erschwinglich die anderen), dann erklärte er, wie im Laufe der Zeit diese mächtigen Waffen durch Rapiere und schließlich durch Degen und Florette ersetzt worden waren, mit denen man nicht zuschlagen, sondern nur noch zustechen konnte. Und dann kamen sie zu dem Zweihänder, den Cody gesehen hatte.
Dylan seufzte entzückt auf, als er die prächtige Waffe sah, und strich bewundernd über die Glasplatte des Schaukastens. Er hatte tatsächlich einen echten Zweihänder aus dem 15. oder 16. Jahrhundert vor sich, das erkannte er daran, dass das Schwert noch nicht den später üblichen Korbgriff aufwies.
Noch nie hatte er ein echtes antikes Schwert dieser Güte aus der Nähe gesehen, nur mehr oder weniger gute Kopien, und er wünschte sich nichts sehnlicher, als es einmal anfassen zu dürfen. Die schwere Waffe vermochte einem Mann den Kopf bis zu den Schultern zu spalten; sie war weniger zum Zustoßen als vielmehr dazu bestimmt, den Gegner regelrecht in Stücke zu hacken. Der Griff war mit Blei gefüllt, um das Gewicht der langen Klinge auszugleichen. Es juckte Dylan förmlich in den Fingern, sie einmal auszuprobieren.
Der Besitzer des Schwertes, ein Yankee namens Bedford, wollte ihm dies jedoch nicht
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