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Vogelweide: Roman (German Edition)

Vogelweide: Roman (German Edition)

Titel: Vogelweide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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der Feuchtigkeit, aber auf dem Gehweg waren kleine, den Häusern nahe Flächen schon wieder getrocknet.
    Kein Eissturm wie bei Shackleton, sagte Eschenbach und glaubte, sie schwanke ein wenig.
    Dieser Schnaps, sagte er, und dann beide wie aus einem Mund: Höllisch.
    Sie lachte, und er fügte bestimmt hinzu: So bleiben wir noch ein Jahr zusammen.
    Wie schön.
    Wobei nicht sicher war, ob sie das versprochene Jahr oder die Stimmung des Abends meinte. Sie warf die nur halb gerauchte Zigarette auf den Boden und trat sie mit ihrem schmalen schwarzen Pumps aus. Als er durch die Scheibe in das Restaurant blickte, sah er, wie Selma und Ewald miteinander redeten und wie Selma lachte, ihm die Hand auf den Arm legte.
    Sie waren wieder hineingegangen, begrüßt von Selma: Hallo ihr, so schnell geraucht?
    Sie hatten noch einen etwas bitteren Kaffee getrunken, die Rechnung geteilt und gezahlt und sich vor der Tür mit der mehrmaligen Beteuerung verabschiedet, wie unterhaltsam der Abend gewesen sei. Ewald sagte, er wolle zu dem Werkstatt-Jubiläum kommen. Anna musste zu Hause noch nachschauen, ob sie an dem Tag nicht einen Elternabend hatte.
    Eschenbachs inniger Wunsch war, sie möge Zeit haben, sie möge kommen.

    Später, auf dem Weg zu ihm nach Hause, fasste ihn Selma um die Hüfte und sagte, ich wusste, er beißt an.
    Wer?
    Ewald. Er hat mich gefragt, ob einer von den beiden Armreifen verkäuflich sei. Eigentlich nicht, hab ich gesagt und gefragt, warum?
    Anna habe bald Geburtstag, sie werde neununddreißig. Und das sei doch ein wunderbares Geschenk. Ich habe neuntausend verlangt, stell dir vor, er hat einfach Ja und wunderbar gesagt. Wir können reisen.
    Sie, die sich nicht von Eschenbach einladen ließ, schwärmte erneut von dem Schildkrötenstrand in der Türkei, wo sie vor einem Jahr gewesen waren, sagte, dann machen wir dort unsere Stutenweek, womit sie wohl die Flitterwochen meinte. Er hatte vorsichtshalber nicht nachgefragt, was genau das bedeutete.
    Es war eines der Wörter, die aus ihrem Mund so fern klangen wie Flederbeeren, Ekkatt, Sünnowend oder Machandel, auch eines der Märchen-Wörter, mit dem sie ihn überraschte, als sie eine Wacholderbeere aus der Sauce des Rehbratens gabelte. Eine Machandel.
    Welche Gerätschaft brauchst du, fragte sie, als er auf der Leiter stehend für sie eine Deckenlampe montieren wollte, und meinte Schraubenzieher und Bohrer.
    Sie hatte ihm in den ersten Nächten, in denen sie nebeneinander liegend, einander von ihrem bisherigen Leben erzählten, auch von der Großmutter, der Mutter ihres Vaters, berichtet. Bei dieser Großmutter, die mit einem Polen verheiratet war, hatte sie als Kind eine Zeitlang gelebt und mit ihr Deutsch gesprochen. Die deutsche Sprache war in Pommern nach dem Krieg verboten worden. In der Schule, auf der Straße, auf den Ämtern wurde polnisch gesprochen. Nur die Großmutter sprach deutsch mit ihr.
    Aber, sagte sie, es ist eine andere Sprache, die man heimlich und immer leise sprechen muss, als die selbstverständlich geradeheraus und offen gesprochene. Es war ein Untergrunddeutsch, gebunden an die leise Stimme der Großmutter und deren Wortschatz. Ein Wortschatz, der vom Lande kam, von den Eltern der Großmutter, die Bauern gewesen waren, irgendwo in der Gegend von Stolp.

    Einmal, nachdem er aus der Laune von drei Gläsern guten Rotweins heraus behauptet hatte, Heiratsanträge dürften, um einer größeren Gewähr auf Haltbarkeit willen, nur die Frauen machen, da war sie niedergekniet und hatte dramatisch gerufen: Heirate mich! Heirate mich!
    Nach dem ersten Schreck darüber, wie ernst sie es dann doch vortrug, lachte er, zog sie hoch und sagte, ihm sei das schon einmal misslungen, und dann dürfe man nicht mehr.
    Komm, steh auf, sagte er. Und er sah sie deutlich vor sich, zog sie hoch und nahm sie in die Arme.
    Hier, in der Hütte, sie war ihm willkommen.

    Auch Bea erschien ihm hier hin und wieder, allerdings lag ihm an ihren Besuchen nichts. Er wollte seine Ruhe haben, und dann stand sie plötzlich ungerufen herum, in ihren weiten weißen Kleidern mit tiefem Ausschnitt und ländlichen Spitzen am Saum. Er konnte nicht sagen, warum sie geheiratet hatten.
    Wir sind doch übereinander hergefallen, sagte sie.
    Ja, aber warum geheiratet?
    Es sollte etwas sein, was Bestand hatte. Zusammengehörigkeit. Entschiedenheit zu teilen. Tisch und Bett. Verbundensein gegen den Rest der Welt. Vielleicht waren es Nachwehen von achtundsechzig, der glorreichen Zeit des

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