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Vogelweide: Roman (German Edition)

Vogelweide: Roman (German Edition)

Titel: Vogelweide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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Tür geöffnet, und ein älterer Mann erschien in einem abgetragenen Morgenmantel, der auf die Frage, ob er the great poet Eliot sei, sagte, no, I am a sales representative.
    Nicht so laut, rief jemand vom Nebentisch, aber die beiden Paare ließen sich in ihrem Gelächter nicht stören.
    Ich, sagte Eschenbach, war mir auf dem Weg zurück ins Youth Hostel nicht mehr sicher, ob es nicht doch Eliot war, der sich, um seine Ruhe zu haben, als Vertreter ausgegeben hat. Allerdings war der Morgenmantel recht abgetragen, was wiederum dagegen sprach.
    Jahre später erklärte mir ein englischer Freund, dass es eher für den echten Eliot spreche, denn ein gut getragener Morgenmantel sei wie ein alter Rolls-Royce, den man ja auch nicht einfach auf den Schrottplatz fahre.

    Das Gespräch kam dann wieder auf den geplanten Bau der Stadt in China zurück. Kein Packeis, keine Wellen, sagte Ewald, aber der Planungsirrsinn sei auch nicht schlecht.
    Selma kannte sich in Architektur nicht aus, konnte aber fragen und zuhören, und es waren kluge Fragen, nicht diese Konversationsfragen, um das Gespräch in Gang zu halten oder Interesse zu heucheln. Gab es Unterschiede zwischen dem Raumempfinden hier und dort, in der Bevorzugung bestimmter Himmelsrichtungen? Die Höhe der Treppenstufen? Hatte er einen chinesischen Berater für das Feng-Shui, oder wurde ohne große Rücksicht der Ort gewählt und bebaut? Sie hatte auf ihrer Chinareise in Hongkong ein Hochhaus gesehen, in dessen Mitte eine große Öffnung belassen worden war, damit ein Drache ungestört vom Berg hinunter zum Meer fliegen könne. An Ewalds ausführlichen Antworten wurde deutlich, dass ihm die Fragen gefielen, sie tauchten seine Arbeit in ein anderes Licht.
    Anna bat Eschenbach, den silbernen Armreif näher ansehen zu dürfen, und ergriff spontan seine Hand.
    Hopi-Schmuck, sagte Anna, sie habe den als Studentin in Amerika, Phoenix, bewundert.
    Ein Geschenk.
    Von Selma?
    Es war das erste Mal, dass er den ihm so vertrauten Namen aus ihrem Mund hörte.
    Ja.
    Ein schönes Stück. Alt?
    Selma zeigte ihr Selmalächeln: Ja. Und erzählte von ihrem Aufenthalt in Taos, erzählte, was Eschenbach schon mehrmals gehört hatte, dass sie dort einen sehr alten Österreicher bei einem der Hopi-Stämme getroffen habe, der, wie der gesamte Stamm, dem Alkohol verfallen war, der Österreicher war früher einmal Skilehrer in den Rockys gewesen und hatte mit den Indianern eine Entziehungskur gemacht, eine Kur, die vom Ministerium der Ureinwohner bezahlt worden war. Der Mann habe dabei Erfahrungen gemacht, die so leicht keinem Ethnologen zugänglich seien, er habe nämlich ihre Sprache und das Stummtrinken, was bei den Hopis zusammengehöre, gelernt. Ihm sei der Ehrenname Kleiner Bär verliehen worden – der Österreicher war wirklich klein, betonte sie, was in ihrem Verkaufsgespräch stets den Wahrheitsanspruch unterstrich. Von diesem alten Österreicher habe sie vier der inzwischen so seltenen antiken Hopi-Armreifen kaufen können. Zwei habe sie veräußert und damit das Geschäft angemietet, renoviert, ausgestattet und Werkzeug erworben. Das jähre sich gerade zum dritten Mal und werde demnächst gefeiert. Wenn Ewald und Anna Lust hätten, seien sie herzlich eingeladen.
    Und wieder raschelte es, und Anna wechselte unter der hellgrauen Seide, die ihn an das Eis und Shackleton denken ließ, die Beine. Er musste sich regelrecht zwingen, nicht hinzusehen, was er dann aber doch tat, und er bedauerte es, ihr nicht gegenüberzusitzen.

    Ein Bild, das er sich hier immer wieder vor Augen führen konnte. Anna war, um zu rauchen, hinausgegangen. Eschenbach, froh darüber, sie einen Moment für sich allein zu haben, mit ihr reden zu können, sagte, er wolle ihr Gesellschaft leisten.
    Vor der Tür standen sie sich gegenüber, sie hatte die linke Hand unter die Achsel geschoben, rauchte mit beiläufigen Bewegungen, nichts Gieriges, nicht Geziertes war daran. Und Eschenbach stand da und hatte, so wie sie ihn ansah, mit dem ruhigen, auf ihn gerichteten Blick, und wie sie ihm zuhörte, den merkwürdigen Gedanken, nein, es war nur ein Wort: Rettung. Sie könnte dich retten. Wovor? Vor allem. Vor Gleichgültigkeit. Vor Bedeutungslosigkeit. Beliebigkeit. Noch kannte er sie nicht, aber diese Empfindung war ganz deutlich, wie eine erkannte Wahrheit. Seltsam, sagte er sich jedes Mal wieder, wenn er später daran dachte.
    Sie hatten über etwas ganz Nebensächliches gesprochen, über den Regen. Die Straße glänzte von

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