Vogelweide: Roman (German Edition)
etwas angehoben wurde, und tatsächlich schleppte der Fischkutter sie frei.
Der Kutter ging weiter draußen vor Anker, ein Hamenfischer. Eine die Umwelt schonende Fischerei, die den Grund nicht wie die Krabbenfischer aufwühlte. Der Hamenfischer klappte an zwei Stangen, den Hamen, seitlich die Netze aus. Mit der Strömung würden die Fische hineingetrieben werden. Eine Zeitlang beobachtete er den Fischkutter durch das Fernglas. Sah die beiden Fischer an Bord sitzen und rauchen.
Selma arbeitete an einem silbernen Armreif für einen Antiquitätenhändler in der Schweiz, der auf antike Kunst der Hopi spezialisiert war. Sie hatte Eschenbach erzählt, wie genau sie sich über die Fertigungsweise informiert hatte, auch im Internet, wobei sie keines der darin veröffentlichten Motive übernommen habe, da die ja für jedermann zugänglich gewesen wären. Sie hatte in amerikanischen Museen die Motive der Ringe und Armreifen fotografiert, vor allem – und das zuerst – gezeichnet. Erst durch das Zeichnen seien ihr die Strukturen der Darstellung deutlich geworden, auch in den winzigen Abweichungen. Erst da habe sie verstanden, wie das Silber gebogen und in welcher Reihenfolge es geschlagen werden musste. Sodann hatte sie den alten Silberschmuck unter dem Vergrößerungsglas studiert, um später eine größtmögliche Echtheit zu erreichen.
Eschenbach fand die Frage nach der Echtheit lächerlich und bestätigte sie in ihrer Fälscherarbeit, ja er riet ihr zu. Diese Echtheit sei nur im Interesse derer, die Einmaliges wollten, sich um Abgrenzung bemühten, Exklusivität. Fälschen sei also eine subversive, fast revolutionäre Arbeit.
Das gefiel Selma.
Damit hatte er ihre ohnehin nicht großen Zweifel ausgeräumt. Und sie fügte hinzu, ihre Arbeit unterscheide sich in der Genauigkeit nicht von den Originalen. Sie benutzte sogar einen in Albuquerque gekauften alten Hammer und war davon überzeugt, durch ihn Echtes zu schaffen. In den Epen sind alle Schmiede der Magie nahe. Darum zog es sie auch zu dem Hephaistos-Heiligtum.
Er saß neben ihr und beobachtete, wie sie das Silber mittels einer dazwischenliegenden Platte langsam mit gleichmäßigen Schlägen in die vorgesehene Form hämmerte, und erzählte ihr, wie Sigurd das Schwert Gram aus der zerbrochenen Klinge des Balmung geschmiedet hatte.
Sonderbar, dachte er, das Handwerk wird in Deutschland weit geringer geachtet als die Kunst, obwohl es doch nicht nur deren Voraussetzung, sondern damit auch ihr Bestandteil ist. Vielleicht nicht gerade bei der Auswechselung der Auspufftöpfe, was er gut beherrschte, das war nur eine Fertigkeit, eine Offenbarung hingegen, wenn durch Kenntnis, Ausdauer und kombinatorische Gabe, ein komplizierter elektronischer Fehler zu finden und zu beheben war. Das kam seiner Arbeit am Rechner nahe. Dieses Suchen nach der richtigen Lösung, nach einer eleganten Gleichung, ist von einer ganz eigenen Schönheit. Hat etwas Lustvolles: Alles geht plötzlich auf.
Aber Selma, die sich nicht für das Rechnen und erst recht nicht für Rechner interessierte, sagte nur, ohne genau hinzuhören, interessant, was, wie er inzwischen wusste, so viel hieß wie uninteressant.
Vor zwanzig Jahren hatte er zusammen mit seinem Freund aus Studienzeiten eine Software-Firma gegründet. Fred hatte Mathematik und Germanistik studiert, er war, wie Eschenbach, ein inbrünstiger Leser. Jemand, der, wenn er in der Mensa anstehen musste, stets ein Buch las, der, hatten sie sich verabredet, ein Bild das Eschenbach vor Augen hatte, auf den Steintreppen vor der Universität saß, eine Zigarette in den Fingern, versunken in der Lektüre eines Taschenbuchs. Bücher, die er in der ausgebeulten Jackentasche trug. Ein, wie viele Mathematiker, Arno-Schmidt-Enthusiast, der, einer der wenigen, den Meister einmal in Bargfeld besucht und auch zu Gesicht bekommen hatte. Eschenbach war ja auch seinerseits in London zu einem Dichterbesuch aufgebrochen. Fred nannte das: unsere kreativen Jugendsünden.
Die beiden Literaturliebhaber hatten sich zusammengetan und eine Firma gegründet, die auf Optimierung spezialisiert war. Prozesse sollten verschlankt, Arbeitswege verkürzt, Zeit sollte eingespart werden. Zeit ist Geld. Das war das Prinzip. Überall in der Wirtschaft, im Verkehr, in der Verwaltung, auch im Haushalt, wo immer etwas umständlich war, umständliche Wege, umständliche Handgriffe, umständliche Berechnungsarten. Umständliche Reden. Ja, auch die Sprache war umständlich. All das
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