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Vogelweide: Roman (German Edition)

Vogelweide: Roman (German Edition)

Titel: Vogelweide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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Alles-besser-und-neu-Machens, dass man nicht heiratete, und um sich davon abzuheben, hatten sie geheiratet. Allerdings mit Ehevertrag. Nett und adrett. Dreißig Gäste. Sein Vater, seine Mutter, diese beiden Altlinken, die zwar verheiratet waren – das war noch eine andere Zeit gewesen –, sich dann aber, je öfter sie demonstrierten, protestierten, Flugblätter schrieben, gegen dieses bürgerliche Relikt ausgesprochen hatten, fragten: Muss das sein?
    Ja, schon wegen dieser Frage musste es sein. Die sauertöpfischen Gesichter seiner Eltern auf dem Hochzeitsfoto. Er musste, wenn er es sich ansah, jedes Mal wieder lachen. Sein Vater demonstrativ ohne Krawatte, als Protest gegen den bürgerlichen Kult, vor allem gegen die Kirche. Ja, Eschenbach hatte es auf die Spitze getrieben und kirchlich geheiratet. Pastor Klaussen, der eine donnernde Rede über Mann und Männin, über die sittliche Grundlage der Ehe gehalten hatte. Pastor Klaussen stand auf dem Foto am Rande im schwarzen Talar neben Beas Eltern, die elegant gekleidet waren, ernst, kein Lächeln, dazu gab der Beruf des Bräutigams keinen Anlass: candidatus theologiae. Freunde der beiden Familien, die durch Haartracht und Kleidung genau zugeordnet werden konnten. Seine Freunde, junge Leute in schlecht sitzenden Anzügen oder in kurzen Kleidern. Sogar die Großeltern waren dabei. Seine Oma schüttelte, als sie die Ringe tauschten, auf irritierende Weise den Kopf. Aber das tat sie zu der Zeit fast immer.
    So feierlich die Hochzeit. So dramatisch die Trennung. Teller wurden zerschlagen. Nachbarn guckten verstört.
    Selma lachte. Und habt ihr noch miteinander geschlafen?
    Nein, das war buchstäblich eingeschlafen.
    Nicht bei mir. Selma behauptete, die polnischen Frauen seien anders. Bei mir könntest du dich nicht so schnell in den Schlaf verdrücken.

    Ihre weiche Fülle – diese sarmatisch e Geborgenheit. Wie und woher war ihm dieses Wort sarmatisch in den Sinn gekommen?

    Vor der Rückreise nach Berlin waren sie, der Flug ging erst spät abends, in Antalya in das Antiken-Museum gegangen. Sie trug an diesem trocken heißen Tag ein hellgrünes Seidenkleid mit einem weiten, runden Ausschnitt. Das Kleid hatte er ihr in London auf einer Geschäftsreise gekauft. Auf den Preis hatte er nicht geachtet, es war die Zeit, als er nicht auf Preise achten musste. Er ließ, da er sich in den Textilgrößen nicht auskannte, eine Verkäuferin kommen, die Selmas Größe hatte, und bat sie, das Kleid anzuziehen. Continental Size 38, sagte die Verkäuferin. Einen Augenblick sah er die Verkäuferin in der Umkleidekabine in einem schwarzen BH und Slip, als sie sich das Kleid über den Kopf zog. Und es war die reine Vorfreude darauf, wie Selma das Kleid vor ihm anprobieren und dann wieder ausziehen würde. Er musterte die Verkäuferin, die sich einmal vor ihm drehte. It fits, hatte er gesagt.
    Und Selma hatte ihm, ohne dass er ihn ausgesprochen hatte, den Wunsch erfüllt.

    Jetzt sah er sie zwischen Marmorstatuen umhergehen, auf den modischen Holzschuhen mit extrem hohen Hacken, blau, ein knalliges Blau, darüber ihre Beine. Er sah die türkischen Wächter, die, aus dem nachmittäglichen Dösen aufgewacht, sie anstarrten, schamlos, weil sie in dem Moment tatsächlich wunderbar schamlos aussah. Und auch seine Blicke, seine Beobachtung, sein Genießen der Blicke der Wärter waren schamlos. Komm, wir gehen, und sie waren in ein Taxi gestiegen. Er hatte während der Fahrt seine Hand zwischen ihre Schenkel geschoben. Sie waren in das Hotel gegangen, in dem sie die Koffer untergestellt hatten. Als er ihr die Tür aufhielt und sie voranging, sah er den dunklen feuchten Fleck hinten auf dem grünen Kleid.
    Sie hatten zum Staunen des Mannes am Empfang nochmals ein Zimmer verlangt.
    Etwas langlegen bis zum Abflug, sagte er zu dem türkischen Portier, und der hatte in einem freundlichen Schwäbisch geantwortet, das ist gut für die Gesundheit.

    Er sah die Jacht, draußen auf dem Sand, und es war sogleich deutlich, dass sie aufgelaufen war. Die Segel hatten sie gestrichen, und der Skipper telefonierte, wie Eschenbach durch sein Fernglas beobachten konnte, wahrscheinlich mit dem Fischkutter, der weiter westlich unter Motor lief. Tatsächlich kam der Kutter näher. Von der Jacht fuhr ein Gummidingi zum Kutter und brachte eine Leine zum Abschleppen. Auf der Jacht versammelte sich die Crew an der Backbordseite, immerhin so viel Ahnung hatte der Skipper, damit sich die Jacht schräg legte, der Kiel

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