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Volksfest

Volksfest

Titel: Volksfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Nikowitz
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auch absolut keine Lust, den Dämmerzustand, in den ihn das Geräusch getrieben hatte, in Richtung eines völligen und zweifelsohne freudlosen Aufwachens zu beenden. Es war mitten in der Nacht, so viel stand fest. Er wollte weiterschlafen, und zwar dringend.
    In gewisser Weise war der Suchanek ja ein schlafender Vulkan. Im Traum war nämlich praktisch keine vor ihm sicher. Wobei: eigentlich dann auch wieder doch. Denn noch nie, wirklich kein einziges Mal, war es in seinen sich zumindest zu Beginn geschickt als erotisch ausgebenden Träumen zu etwas gekommen, das einem Vollzug wenigstens entfernt geähnelt hätte. Immer, immer, immer kam etwas dazwischen. Suchanek, an sich wenn schon nicht aus Überzeugung, so doch aus Denkfaulheit Atheist, stand nach knapp zwei Jahrzehnten zumindest theoretisch möglicher sexueller Aktivität nunmehr sogar schon knapp davor, seine mit der Zuverlässigkeit eines Autobahnstaus zu Pfingsten wiederkehrenden Interruptus-Träume als Gottesbeweis anzuerkennen. Denn wer, wenn nicht ein zorniger alter Mann mit einem wehenden weißen Bart und Sexualneurose, sollte ihn schließlich sonst dermaßen quälen?
    Aber auch wenn man Suchanek ansonsten nicht eben als Kämpfer bezeichnen konnte, der, um ein Ziel zu erreichen, auch einmal dorthin ging, wo es weh tat – beim Träumen kannte er da nichts. Voller unsuchanekscher Verbissenheit rannte er im Traum unablässig gegen diese Wand der Unbefriedigung an. Auch jetzt gerade versuchte er hurtig, sich wieder zu seiner früheren Physiklehrerin zurückzuschlafen, einer Frau mit einem mittelschweren Anflug von Damenbart und den Oberschenkeln einer bulgarischen Kugelstoßerin aus Zeiten, in denen bulgarische Kugelstoßerinnen noch zuverlässig täglich Anabolika brunchten. Zugegeben, die Pädagogin war nicht gerade Salma Hayek, aber vielleicht würde sie gerade das dazu bewegen, nicht durch das Klofenster abzuhauen. Und außerdem würde sie da ohnehin ganz schlecht durchpassen, also …
    Das Geräusch.
    Da war es schon wieder.
    Jetzt hatte der Suchanek natürlich schon einmal einen Hund bellen gehört in seinem Leben. Weil es war ja nun nicht so, dass er in seinen 33  Jahren auf Gottes schönem Erdenrund überhaupt nichts erlebt gehabt hätte. Aber diesen Hund hier, so viel wurde ihm jetzt durch den Nebel aus Schläfrigkeit und vom Kiffen befeuerter Geilheit doch langsam immer klarer, den hatte er sicher noch nie bellen gehört. Es war nämlich Fritzi. Oder Franzi. Ferdi. Fredi?
    Der Hund hatte nicht einen Ton von sich gegeben, seit ihn ein mitleidloses Schicksal an Suchanek gekettet hatte. Er schmatzte nicht beim Fressen, erledigte seine Flatulenzen vollkommen lautlos, er hatte nicht gejault, als ihm der Suchanek gänzlich unabsichtlich eine volle Mineralwasserflasche auf den Hinterlauf hatte fallen lassen – zwar aus Plastik, denn erstens war er ja kein Unmensch, und zweitens war Glasflaschenrecycling was für Soziologiestudenten und nicht für so lebenstüchtige Zupacker wie den Suchanek – aber immerhin. Eineinhalb Liter Wasser waren auch ohne Glas rundherum immer noch … dings Kilo. Seine Physiklehrerin hätte das zweifellos genauso schnell ausrechnen können, wie sie sich ihren BH -Träger von der strammen Schulter schnippte – obwohl der in Suchaneks langsam, aber sicher endgültig verpatztem Traum starke Ähnlichkeit mit einem bordeauxroten Klaviertragegurt aufgewiesen hatte.
    Jedenfalls, vor allem ein bestimmtes Geräusch hatte der Hund bisher auch nicht hervorgerufen, obwohl man es durchaus als sortentypisch ansehen musste: Er hatte bisher kein einziges Mal gebellt. Jetzt tat er das aber schon. Und es war auch nicht bloß ein vereinzeltes Kläffen, das da aus dem Kellerverlies heraufwehte, in das Suchanek den besten Freund anderer Menschen heute Nacht gesperrt hatte, weil er es zugegebenermaßen schon auch ein wenig genoss, einmal einen Untergebenen zu haben, den er drangsalieren konnte, ohne irgendwelche Zeugen dafür zu haben, die das eventuell moralisch leicht bedenklich finden mochten. Also so ein kurzes, gehustetes «Röff!», wie es Hunde nachts manchmal hören lassen, wenn sie träumen oder in der Ferne einen anderen Hund vereinzelt röffen hören.
    Nein. Der Hund war eine akustische Stalinorgel. Er regte sich über irgendetwas ganz fürchterlich auf, und das war ja nun nicht unbedingt seine Art.
    Suchanek öffnete missmutig die Augen und blinzelte zu Vaters Radiowecker hinüber. Es war knapp vor drei. Selbstredend bewegte sich seine

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