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Voll das Leben (German Edition)

Voll das Leben (German Edition)

Titel: Voll das Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gernt
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hatte er es bereits hinter sich. Doch Nick erwies sich als ungemein hartnäckig. Er hielt ihn weiter fest im Griff und schob ihn nun vorwärts, von der Brücke herunter.
    „Du kommst mit mir. Ich hab keine Lust, hier draußen zu bleiben. Verdammte Scheiße, warum hast du keine Sozialhilfe beantragt?“
    Jan war zu schwach, um sich gegen ihn zu stemmen, also lief er ergeben mit. Es war anstrengend, regelrecht schmerzhaft, seine steif gefrorenen Gliedmaßen zu bewegen. Typisch Nick, er konnte es nicht lassen, ihn zu quälen …
    „… Arbeitslosengeld, Wohngeld, was auch immer. Keine Ahnung, was einem eben zusteht. Wir leben in einem Sozialstaat, hier muss niemand auf der Straße leben!“
    Jan seufzte, so gut das mit klappernden Zähnen ging.
    „Wozu die Mühe?“, murmelte er kraftlos. Im nächsten Moment taumelte er gegen eine Mülltonne, als Nick ihn von sich stieß. Erschrocken duckte Jan sich zusammen, erwartete für einen irrationalen Augenblick Schläge, und dass er angebrüllt werden würde. Doch er wurde bloß um Arm und Hüfte gepackt und entschlossen weiter geschleppt.
    „Wenn ich eines wie die Pest hasse, dann Selbstmitleid!“, knurrte Nick angewidert. „Wie kann man sich nur so hängen lassen? Ja, dein Freund ist gestorben, ist das ein Grund, es ihm nachzumachen? Dennis hätte lieber noch weitergelebt, oder? Glaubst du, er wäre stolz auf dich, wenn er dich so sehen müsste? Abgewrackt, ein einziges Jammerbündel, nicht fähig, für sich selbst zu sorgen?“
    Jan sparte sich die Antwort. Er brauchte alle Energie, um mithalten zu können und um nicht in Tränen auszubrechen. Nicht allzu tief in seinem Inneren wusste er, dass Nick Recht hatte.
    Irgendwann blieben sie stehen. Schlüssel klimperten. Licht und Wärme. Jan hatte Schwierigkeiten zu denken oder auch nur klar zu sehen.
    Nick führte ihn eine Treppe hoch und dann in eine Wohnung hinein. Sein Zuhause. Er schimpfte vor sich hin, während er Jan den Rucksack und die Jacke abnahm und ihn anschließend in ein helles Badezimmer schob. Weiße Fliesen, eine geräumige Badewanne, eine Dusche, flauschige Handtücher in allen Farben auf einem Regal. Überall kleine Spotlights, die angenehmes warmes Licht verbreiteten. Es war irreal, solchen alltäglichen Luxus zu bewundern, nachdem man gerade noch versucht hatte, sich selbst zu ertränken.
    „Beeil dich mit der Dusche. Mir ist selbst beschissen kalt, klar?“
    Nick starrte ihn böse an, also nickte Jan hastig. Endlich ließ sein Retter ihn allein.
    Es war schwierig, sich mit steif gefrorenen Fingern auszuziehen. Vor allem die Schnürbänder seiner Sneaker wehrten sich. Schließlich aber prasselte heißes Wasser auf ihn nieder, jeder Tropfen ein unerträglich brennender Nadelstich auf seiner marmorierten, stellenweise blauen Haut. Jan wusste nicht, ob er Nicks Duschgel und Shampoo benutzen durfte. Der würde es riechen und womöglich nicht gutheißen. Also blieb er bloß einige Minuten still stehen, bis es nicht mehr schmerzte und selbst seine Füße aufzutauen begannen.
    Schon lauerte allerdings die nächste Hürde – durfte er sich eines der großen Badehandtücher nehmen? Scheu griff er sich eines dieser riesigen Dinger aus duftendem Frottee, trocknete sich hastig ab und suchte anschließend eine Möglichkeit, wo er das nasse Handtuch aufhängen konnte.
    „Alles in Ordnung da drin?“ Nick klopfte kurz, bevor er hereinstürmte. Jan konnte sich gerade noch mit all seiner beschämten Nacktheit hinter dem weißen Stoff verbergen.
    „Mir geht es gut!“, flüsterte er mit weit aufgerissenen Augen. „Wo kann ich das hier …?“
    Nick entriss ihm ungeduldig das Handtuch, warf es achtlos in die Badewanne, sammelte Jans Klamotten auf, drückte sie ihm in die Arme und schubste ihn dann grob nach draußen.
    „Ich erfriere, zieh dich draußen an!“, knurrte er dabei.
    Verdutzt starrte Jan auf die Tür, die ihm vor der Nase zugeschlagen wurde. Nun, das war schon eher der Nick, den er kannte und verabscheute!
    Deutlich wärmer, aber genauso elend wie zuvor zog er sich an und setzte sich im Wohnzimmer auf die Couch, nachdem er einen Reklamezettel als Schutz untergelegt hatte. Trotzdem ließ er sich nur zögerlich nieder, seine Jeans war klamm und nicht allzu sauber.
    Weglaufen konnte er jederzeit. Im Moment sprach nichts dagegen, abzuwarten, ob Nick noch mehr mit ihm vorhatte. Nun ja, wo sollte er auch sonst hin?
     
    Er war tatsächlich noch da. Nick war beinahe überzeugt gewesen, die Wohnung verwaist

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