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Voll das Leben (German Edition)

Voll das Leben (German Edition)

Titel: Voll das Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gernt
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allem aber war er ihm viel zu nah. Er konnte sein Duschgel riechen und die feinen Bartstoppeln an seinem Kinn erkennen. Um seine blauen Iriden hatte er gelbliche Punkte. Wie kleine Sterne.
    Jan versuchte sich freizuwinden, kam allerdings nicht gegen die schiere Kraft an, mit der er gegen die Wand gepresst wurde.
    „Lass mich los!“, zischte Jan, zwischen Panik und Zorn schwankend. „Ich brauche dein Mitleid nicht!“
    „Was meinst du …?“
    „Wenn du das nächste Mal über jemanden lästern willst, der im Nebenraum hockt, mach die Tür richtig zu und sprich leiser. Ich bin kein geprügelter Hund, Dennis war mein Lebensgefährte, nicht mein Lover, und deine Ideallösung kannst du dir sonstwo reinschieben!“
    Nick ließ ihn augenblicklich los, als hätte er sich verbrannt, und wich einen Schritt zurück. Er war bleich und wirkte beschämt, fast schon entsetzt. Jan nutzte die Gelegenheit, seine Jacke zu schließen und endlich abzuhauen. Er hatte bereits die Klinke in der Hand, als sich Nick regte und rasch die Tür zuhielt.
    „Nicht … Jan, es – es tut mir leid. Geh nicht, bitte! Ich mache mir wirklich Sorgen um dich.“
    Jan schaute ihn ungläubig an. Welches Alien hatte diesen Körper übernommen?
    „Das eben am Telefon war nur … Es war für Max. Der soll nicht denken, dass …“
    Mühsam unterdrückte Jan das Bedürfnis, sich zu kneifen. Es war kein Traum, das wusste er mit Sicherheit. Das hier irgendwo das Team von „Verstehen Sie Spaß?“ auf der Lauer lag, war ziemlich unwahrscheinlich. Was konnte also sonst mit Nick los sein? Wo war die Verachtung, der Spott, mit dem er ihn jahrelang kübelweise überschüttet hatte?
    „Lass mich gehen“, bat Jan erschöpft und legte die Stirn an das kalte Holz der Wohnungstür. Sein Kopf hämmerte, er war so unsagbar müde …
    Eine große Hand legte sich auf seine Schulter.
    „Ich würde es nicht ertragen, wenn du dich umbringst.“
    „Das werde ich nicht. Dafür bin ich eh zu feige.“
    „Bitte, ich …“
    Jan schüttelte den Kopf. Es war ihm zu viel, sich mit dem plötzlichen Gesinnungswechsel dieses Mannes auseinanderzusetzen. Energisch riss er die Tür auf und rannte bereits die Treppe herunter, bevor Nick ihn zurückhalten konnte. Andernfalls hätte er vermutlich aufgegeben und wäre bei ihm geblieben, und das hätte keinem von ihnen gut getan. Nick folgte ihm nicht, er rief noch nicht einmal nach ihm. Jan wusste nicht, ob er deswegen enttäuscht oder erleichtert war.
    Draußen lehnte er sich kurz an die Hausfassade, um sich zu sammeln.
    Verdammt, das bin doch nicht ich!, dachte er verzweifelt. Bin ich das, der mit Schnaps in der Hand auf Brückenpfeilern hockt und ehemalige Kollegen bestiehlt?
    Vor allem letzteres fraß an ihm. Umkehren wollte er nicht. Nick beichten, dass er sein Geld genommen hatte … Unmöglich.
    Die Kälte zwang ihn schließlich weiterzulaufen, bis er vor Müdigkeit fast zusammenbrach.
    Er sah sich um, wo war er hier bloß?
    Die Gegend war heruntergekommen. Müll lag auf der Straße, in vielen Häusern waren die Fensterscheiben durch Bretter ersetzt worden. Der Hauptbahnhof musste in der Nähe sein, Jan war sich sicher, die Silhouette des Gebäudes in einiger Entfernung zu sehen.
    „Hey, ganz allein?“ Eine junge Frau kam mit wiegenden Hüften auf ihn zu. Jan erkannte seinen Fehler, er war zu lange stehengeblieben. Hastig schüttelte er den Kopf und lief mit gesenktem Kopf weiter. Er sah Obdachlose in Hauseingängen, die trotz der bitteren Kälte auf der Straße schliefen. Sein Blick fiel auf einen Jungen von allerhöchstens fünfzehn Jahren. Noch während Jan überlegte, ob der Junge wohl anschaffte, hielt ein Auto mit laufendem Motor an. Ein kurzer Wortwechsel, dann stieg der Junge ein. Jan hastete vorwärts, bis er das Gefühl hatte, wieder in einer besseren Gegend gelandet zu sein. Ihm war schlecht bei dem Gedanken, dass dies seine Zukunft sein sollte. Nein, das wollte er nicht, wirklich nicht!
    Ein Schild fesselte seine Aufmerksamkeit, es zog ihn magisch an: Ein Stundenhotel. Das Versprechen auf ein billiges Zimmer. Ein Ort, wo er sich für die Nacht verkriechen konnte.
    Es war ein gedrungenes, grau verputztes Gebäude. Ein wenig heruntergekommen, aber nicht schäbig. Auf der ganzen Straße war nichts zu hören oder zu sehen. Jan zögerte kurz, bevor er die drei Metallstufen zur Tür hochstieg.
    Innen erwartete ihn Wärme, dunkles Holz, ein abgewetzter Perserteppich. Ein Mann saß hinter einem Tresen in einem breiten

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