Voll das Leben (German Edition)
allerdings gleichermaßen Genies am Computer. Früher waren sie gute Freunde von Jan und Dennis gewesen, mit denen sie auch in der Freizeit viel miteinander unternommen hatten. Früher, als Dennis noch gesund gewesen war. Mittlerweile sprachen sie bloß mit ihm, wenn es zwingend sein musste, und das ausschließlich über firmeninterne Sachen. Keiner von beiden konnte ihm in die Augen sehen. Es hatte keinen Streit gegeben, die zwei hatten sich einfach zurückgezogen. So wie alle anderen Freunde , die Jan und Dennis gehabt hatten. Zusammen um die Häuser ziehen war toll, jemandem beizustehen, der langsam verreckte, eben nicht.
„Haust du schon wieder ab?“ Nick kam gerade aus dem Nebenraum, als Jan das Büro verlassen wollte.
„Ich hab ihm Urlaub gegeben. Mit Dennis geht es zu Ende“, mischte sich Max hastig ein. Niklas war berüchtigt für seine widerlichen Kommentare über Schwuchteln, die seiner Meinung nach keine Lebensberechtigung haben sollten. Er sah gut aus – mittelgroß, schlank, dunkelblondes, modisch verwüstetes Haar, blaue Augen. Ein Kumpeltyp, der Spaß in jede Runde brachte, das Herz jeder Mama rührte, die Mädels verrückt machte. Dabei war er strikt treu, solange die Beziehung dauerte. Eigentlich ein idealer Familienmensch, den man sich baumhausbauend und ballspielend mit seinen Kindern vorstellen konnte, die er bloß noch nicht hatte. Wie bösartig und verbohrt er war, stand ihm wirklich nicht auf die Stirn geschrieben …
„Es gibt also doch Gerechtigkeit auf der Welt“, murmelte Nick, machte ihm aber bereitwillig Platz. „Vielleicht kann der gnädige Herr tatsächlich wieder arbeiten, sollte er irgendwann zurückkommen. Wir haben die Nase voll davon, deine Schlamperei und ‚mimimi, mein Freund stirbt, habt Mitleid!’ auffangen zu müssen!“
„Ist recht.“ Jan drängte sich durch die Tür und atmete auf, als er durch das Treppenhaus nach unten lief. Das war für Nicks Verhältnisse liebenswürdig und zurückhaltend gewesen … Am Anfang hatten er und Jan sich sogar recht gut verstanden. Eben bis Dennis zum Team dazu kam und sie innerhalb kürzester Zeit ein Paar wurden. Danach hatte er sich quasi täglich selbst übertroffen, um ihnen mit dummen Kommentaren, schriftlichen Gehässigkeiten und Hinweisen auf jede politische Bewegung gegen Homosexualität auf dieser Welt das Leben sauer zu machen. Dennis war äußerst sensibel bei diesem Thema und hatte entsprechend sehr darunter gelitten. Mehr als einmal war es zu heftigen Streitigkeiten zwischen den beiden gekommen … Nun, Nicks Schwulenhass war sein geringstes Problem.
Jan zögerte seine Ankunft daheim hinaus, solange es ging. Einerseits drängte es ihn zu rennen, so schnell er konnte. Er wusste, Dennis wartete auf ihn und Jan hatte panische Angst, sein Liebster könnte sterben, während er unterwegs war. Andererseits kostete es ihn so viel Kraft, all das Elend zu sehen …
Dennis schlief, als Jan zu ihm kam. Er lag in einem Krankenpflegebett im Wohnzimmer, treu bewacht von Hanka, der russischen Pflegehelferin. Sie saß seit einem Jahr unter der Woche täglich hier, während Jan arbeiten gehen musste, tat das Notwendige, um Dennis zu versorgen und strickte dabei alles mögliche Zeug für ihre Kinder und Enkel.
„Du heute kommst früh“, sagte sie überrascht.
„Ich hab ab jetzt Urlaub. Bis es … so lange wie es …“
Sie stand auf und nahm ihn in den Arm. Hanka war klein und rund, aber sie hatte Kraft. Körperlich wie geistig. Sie drückte ihn kurz an sich. Hanka brauchte nichts zu sagen, er spürte ihre ehrliche Anteilnahme. Die Trauer, die sie ebenfalls empfand, denn wenn sie auch keine Freunde waren, sie waren einander vertraut.
„Du brauchst Hilfe?“, fragte sie und fuhr direkt fort: „Dennis hat die Flasche und die Spritze.“ Jan mochte ihren Akzent, er brachte ihn innerlich zur Ruhe.
„Lass gut sein.“ Er winkte nachlässig ab. „Ich komme zurecht, geh ruhig nach Hause. Bis heute Abend dann.“
Hanka zögerte, nickte, nahm ihre Tasche, ging zur Tür, kehrte aber noch einmal um.
„Ich hab nicht getraut zu fragen dich“, murmelte sie deutlich verlegen. „Du weißt doch, meine Natalja jetzt bekommt das Baby.“
Jan brummte zustimmend, sie hatte in den letzten Wochen ständig davon geredet. Da er schon damit gerechnet hatte, zog er sofort den Rückschluss, was sie nun wollte – ihre Tochter wohnte über dreihundert Kilometer entfernt. Wäre Dennis nicht, wäre Hanka längst zu ihr
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