Voll das Leben (German Edition)
zusammen. Davon wusste er nichts, Nick hatte nie von einer Ehefrau gesprochen, lediglich von gelegentlichen Eroberungen und Kurzbeziehungen.
„Nadine!“ Nick stieß den Namen wie ein Trauergebet hervor. „Sie hat mich geliebt, um mich gekämpft, gelitten und geweint. Ich hab sie geschwängert und brav geheiratet. Da war ich gerade zwanzig und sie neunzehn. Ein Jahr später waren wir geschieden und ich habe es niemals wieder geglaubt, wenn eine Frau sagte, dass sie die Pille nimmt.“
„Du hast also ein Kind?“, fragte Jan unbehaglich. Er hatte sich nie vorstellen können, Vater zu werden. Verantwortung für ein Lebewesen übernehmen … Er wusste genau, dass es nichts gab, was Eltern ihren Kindern nicht antun konnten. Dass nichts und niemand prägender war als die Familie. Dass Nichtstun und Abwesenheit genauso schädlich waren wie Gewalt. Sein Vater hatte darin versagt, für ihn da zu sein. Jan war sich sehr sicher, dass er eine solche Aufgabe besser erfüllen würde, aber ob er es richtig machen könnte … Das wollte er wirklich nicht wissen.
„Ich habe eine Tochter“, sagte Nick sehr leise. „Marina. Sie ist jetzt zehn und ich weiß nichts von ihr. Nadine ist kurz nach der Scheidung in den Osten gezogen und hat jeden Kontakt abgebrochen. Irgendwann kam ein Schreiben, dass sie wieder geheiratet hat und ihr neuer Mann Marina adoptieren wolle. Ich habe zugestimmt und ihnen alles Gute gewünscht.“
Er ließ den Kopf hängen. Jan drückte ihm die Hand und wartete geduldig, bis Nick sich wieder gesammelt hatte.
„Ich konnte ihr nicht geben, was sie brauchte. Was sie verdient hatte.“
Der Kellner kam vorbei, um zu fragen, ob sie noch etwas trinken wollten. Er stutzte ganz kurz, als er sah, wie sie sich an den Händen hielten, ansonsten blieb er professionell. Nick hatte ihn nicht losgelassen, auch wenn er spürbar gegen diesen Impuls angekämpft hatte. Eine kleine Geste nur, doch Jan wusste, wie bedeutsam sie war.
„Ich kann das nicht gut“, murmelte Nick. „Ich bin schon seit Jahren in dich … Seit du das eine Mal die ganze Nacht bei mir geblieben bist, als nach dem Blitzeinschlag mein PC frittiert war. Ohne dich wäre der Auftrag in die Binsen gegangen und Max’ Ruf hätte erheblich gelitten.“
„Das war selbstverständlich gewesen.“
Jans Puls stieg rasant an, als er an diese Nacht dachte. Damals hatte er zutiefst bedauert, dass Nick hetero war, sich aber damit getröstet, dass sie gute Freunde waren. Wie sie da auf dem Boden gehockt und auf alten Laptops rumgehämmert hatten … Trotz des Stresses hatten sie Spaß gehabt, gelacht, geflucht, sich gegenseitig mit Kaffee abgefüllt und am Ende etwas gezaubert, das besser als der Originalentwurf war. Ein paar Tage danach war Dennis zum Team dazugestoßen. Er hatte Jan die Hand geschüttelt, ihm in die Augen geblickt und schon waren sie beide verloren gewesen. Die anderen, Max ausgenommen, hatten bis dahin nichts von Jans Orientierung gewusst, es war schlicht nie ein Thema gewesen. Von diesem Tag an hatte Nick ihn wie einen Aussätzigen behandelt.
„Ich wäre nie auf die Idee gekommen, du könntest eifersüchtig sein. Ich meine, ich hab in dieser einen Nacht das eine oder andere Signal in deine Richtung geschickt und du hast überhaupt nicht reagiert.“
Nick lächelte verkrampft. „Ich hab es nicht gewagt. Die Scheidung hatte mich einen Großteil meines Freundeskreises gekostet, den Rest wollte ich nicht mit einem Coming Out verlieren. Meine Mutter hatte zu dem Zeitpunkt kaum mit mir geredet, für sie war Nadine die ideale Schwiegertochter gewesen und sie hatte Marina so sehr geliebt. Mein Vater hat sowieso nie wirklich mit mir geredet … Die beiden waren so enttäuscht und ich wollte es nicht noch schlimmer machen. Was, wenn ich mich geirrt hätte? Ja, ich habe Männer attraktiv gefunden und davon geträumt, dass ein Mann mich küsst. Aber ich finde auch Frauen schön und hatte immer gerne Sex. Ich konnte bloß nicht mit einer Frau zusammenleben. Nach Nadine hab ich es mehrmals versucht, es ging einfach nicht – keine Beziehung hat länger als zwei Wochen gehalten.“
„Du meinst, du bist bisexuell?“
„Keine Ahnung. Ich weiß gar nichts mehr.“
Nick blickte ihn hilfesuchend an, seine Finger bohrten sich schmerzlich in Jans Hand.
„Ich bin so ein Feigling, ich hab dich immer um deine Selbstsicherheit beneidet. Um diese Gewissheit, wohin du gehörst.“
Jan seufzte.
„Es ist so ein Blödsinn, immer auf alles ein Etikett
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