Voll gebissen
fuhren zur nächst größeren Stadt und Mr Henderson ließ mich erstmal Einparken üben. Solange ich nicht rückwärts einparken musste, klappte das – wie ich fand – verhältnismäßig gut.
Im weiteren Verlauf meiner Fahrstunde überfuhr ich zwar noch ein Stoppschild, nahm einem anderen Fahrzeug die Vorfahrt und fuhr verkehrt herum in eine Einbahnstraße, aber ansonsten verlief die Stunde ganz okay. Zumindest kamen keine anderen Fahrzeuge zu Schaden und Passanten wurden auch keine verletzt. Was wollte man also mehr?
Erschöpft von der anstrengenden Fahrstunde fuhr ich mich selbst nach Hause und verabschiedete mich von meinem Fahrlehrer, der nicht weniger erleichtert schien als ich.
Ich ging hinauf in mein Zimmer, legte mich auf mein Bett und zappte durch sämtliche Fernsehkanäle. Wobei ich nicht wirklich mitbekam, was tatsächlich im Fernseher lief. Mittlerweile war es nämlich dunkel geworden und der Mond stand hoch am Himmel.
Ich dachte an Liam, wo er jetzt war, was er jetzt machte und wie es ihm ging. Ob er auch an mich dachte? Oder ob er wie immer nichts von seinem Dasein als Werwolf mitbekam?
Ich wusste nicht mehr genau zu welcher Uhrzeit, doch irgendwann machte ich den Fernseher aus und legte mich schlafen. Je früher ich einschlief, umso schneller würde ich Liam wiedersehen.
Am nächsten Morgen sprang ich gutgelaunt aus dem Bett. Früh aufstehen war mittlerweile kein Problem mehr für mich, denn ich wusste, dass ich Liam gleich wiedersehen würde. Ich machte mich für die Schule fertig und ging zu unserer Laterne.
Liam war noch nicht zu sehen, aber das war ja nichts Neues. Er verspätet e sich immer, wenn er eine Vollmondnacht hinter sich hatte. Das war also kein Grund mehr zur Aufregung. Die Warterei war auch nicht mehr so schlimm. Wir hatten Frühjahrsanfang und die nasse Kälte war ein paar (wenn auch kläglichen) Sonnenstrahlen gewichen.
Endlich kam er um die Ecke. Müde und abgekämpft, doch auch an diesen Anblick hatte ich mich bereits gewöhnt. Er benötigte heute ein bisschen mehr Schlaf als sonst, aber morgen würde er wieder ganz der Alte sein.
Liam ging zielstrebig auf mich zu und drückte mich fest an sich. Wie gut das tat!
„Ich hab dich vermisst“, flüsterte er mir ins Ohr und hielt mich dabei immer noch in seinen Armen.
„Ich hab dich auch vermisst“, wisperte ich zurück.
„Wie war deine Fahrstunde gestern?“
Ich machte eine abwertende Handbew egung. „Frag lieber nicht.“
Er grinste frech und vergrub sein Gesicht in meinen Haaren, während er mich noch fester an sich drückte. Ihm war es leider nicht entgangen, dass meine Stärken jenseits vom Autofahren lagen, aber er hatte mir versprochen, nachdem er mich bereits etliche Male schamlos ausgelacht und damit aufgezogen hatte, sich nicht mehr über mich lustig zu machen.
„Wir müssen zur Schule“, erinnerte ich ihn und L iam ließ mich widerwillig los.
In der Klasse angekommen, saßen unsere Mitschüler schon auf ihren Plätzen. Liam wurde freundlich begrüßt und auch für mich hatte sich einiges geändert, seit ich mit ihm zusammen war.
Ich wurde nicht mehr gehänselt und ich bekam keine dämlichen Sprüche meh r an den Kopf geworfen. Seit Liam und ich ein Paar waren, begrüßten mich einige meiner Klassenkameraden ebenso herzlich wie ihn. „Heuchler!“, dachte ich mir dann immer, doch irgendwie war ich auch froh, dass ich aus der Schussbahn war.
Erwin und Roswitha waren nun das neu erklärte Ziel des Klassenspotts. Ein bisschen taten sie mir leid und ich überlegte oft, ob ich ihnen nicht helfen sollte, wenn mal wieder jemand auf ihnen rumhackte, doch ich hatte zu große Angst, dadurch selbst wieder zum Zielobjekt zu werden, also nahm ich mir nur vor, beim nächsten Mal einzuschreiten.
Kyle, der mittlerweile neben Amilia saß, begrüßte mich überschwänglich und drückte mich mit seinen Mammut-ähnlichen Armmuskeln an seine massige Brust, sodass mir fast die Luft wegblieb. Zu meiner Zufriedenheit beobachtete Liam das mit inbrünstiger Missgunst. Es war ein tolles Gefühl, wenn er so reagierte.
Eigentlich h ätte ich ihn so eingeschätzt, dass ihm das nicht besonders viel ausmachte. Liam musste doch wissen, wie toll er war und dass ich keinen besseren Freund als ihn finden konnte, dennoch war er sehr schnell eifersüchtig und das bestätigte mir neben seinen Worten nur noch mehr, wie sehr er mich liebte.
W enn ich ehrlich war, wusste ich selbst nicht, woher Kyles neue Zuneigung zu mir kam.
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