Voll gebissen
mehrmals überschlug, bis mich ein Baum zum Stehen brachte und die Kiste unter mir zerschellte wie ein Weinglas, das zu Boden fiel.
Zugeben, oft fuhr ich außerorts nicht unbedingt schneller als innerorts, doch wozu diese Eile? Ich war ja schließlich nicht auf der Flucht. Außerdem konnte man sich so viel besser die Landschaft anschauen.
„Nun mach schon!“, drängelte mein Vater und ich trat das Gaspedal herunter. Der Wagen beschleunigte mit einem Ächzen von 50 auf 80 Sachen. Erschrocken klammerte sich mein Vater an der Beifahrertür fest.
„Hast du sie noch alle?“, pflaumte er mich an, „Ras doch nicht so!“
Ich verdrehte genervt die Augen. Auch das kannte ich bereits. Erst wurde ich genötigt, schneller zu fahren und wenn ich es dann tat, war es plötzlich wieder zu schnell.
„Du kannst jetzt so langsam Richtung Heimat fahren.“
Erstaunt sah ich auf. Wir waren doch eben erst losgefahren?! „Mrs Wizzlebee kommt gleich noch vorbei.“
Ah , deswegen hatte er es vorhin so eilig gehabt. Glück musste der Mensch eben haben.
Mrs Wizzlebee war eine alte Frau, die sich einmal in der Woche auf den Weg machte, um bei meinem Vater Lebensmittel einzukaufen. Sie war ziemlich eigenbrötlerisch und bestand darauf, persönlich von ihm bedient zu werden. Eigentlich fand ich das ja immer ziemlich engstirnig, aber in Situationen wie dieser dankte ich Gott dafür, dass es auch solche Leute gab.
Ich fuhr uns nach Hause und schlich langsam die Treppe hinauf, während mein Dad in seinen Laden ging.
„Liam , aufwachen, du kannst zu Emma gehen“, hörte ich ihn sagen.
Hoppla! Liam war wohl wieder einge nickt, was aber nicht weiter schlimm war. Nachdem mein Vater ihn zweimal erwischt hatte, wie er bei der Arbeit eingeschlafen war, hatten wir ihm erzählt, dass er einmal im Monat einen Männerabend machte.
Mein Vater fand das grandios und erzählte Liam d araufhin etliche Geschichten aus seiner Jugend, als er noch mit seinen Kumpels um die Häuser gezogen war. Er schwelgte dann stundenlang in Erinnerungen und blickte verträumt an die Decke, während ihm immer neue Abenteuer einfielen, die er (angeblich *hust*) mal erlebt hatte. Mein Dad nahm ihm seine Nickerchen also nicht übel und zeigte vollstes Verständnis dafür. Die Frage war nur, wie der sonst so gewissenhafte Liam das mit sich selbst vereinbaren konnte.
Schlurfend kam er hinter mir die Treppe hinauf und legte mir seinen Arm um die Hüfte. „Was für ein Glück, dass ihr wieder da seid. Ich bin hundemüde.“ Wir gingen in mein Zimmer, Liam warf sich aufs Bett und machte augenblicklich die Augen zu. Zufrieden kuschelte ich mich an ihn, machte den Fernseher an und schaute mir irgendein langweiliges Nachmittagsprogramm an, bis meine Mutter uns zum Essen rief.
2.
Heute war der Tag vor meinem Geburtstag und ich war über alle Maßen aufgeregt. Nicht wegen des nahenden Geburtstags selbst, sondern weil mich mein Fahrlehrer gleich zu meiner Führerscheinprüfung abholte.
Ich hatte Liam gesagt, er solle mich in der Schule kran kmelden. Zuerst hatte er sich geweigert, doch nachdem ich ihm erklärte, dass ich wenig Hoffnung darin sah, meinen Führerschein beim ersten Anlauf zu bestehen und nicht jedem in der Klasse sagen wollte, dass ich jämmerlich versagt hatte, zeigte er Verständnis und willigte ein, mich aus gesundheitlichen Gründen zu entschuldigen.
Zu gut hätte ich mir Amilias Gesicht vorstellen können, nachdem sie erfuhr, dass ich meinen Führerschein doch nicht bestanden hatte. Ein fieses Grinsen voller Schadenfreude! Würg!
Sie selbst hatte ja gut lachen. Seit zwei Wochen gehörte sie ebe nfalls zum Kreis der glücklichen Führerscheinbesitzer und fuhr seitdem mit einem protzigen Cabrio zur Schule, welches ihr Daddy ihr geschenkt hatte. Selbst wenn sie noch schlechter autofahren würde als ich, hätte sie unter Garantie ihren Führerschein bekommen. Ihr Vater hätte ihr vermutlich einfach einen gekauft.
Es hupte vor der Haustür und mir wurde ganz mulmig zumute. Meine Mutter hatte sich heute extra freigeno mmen und den Frühstückstisch mit lauter Köstlichkeiten gedeckt, damit ich mich stärken konnte, doch ich hatte solche Panik vor der Prüfung, dass ich keinen Bissen hinunterbekam. Obwohl ich in den letzten vier Wochen jede freie Minute mit Fahrstunden verbracht hatte und zusätzlich sogar freiwillig weitere Fahrstunden bei meinem Dad genommen hatte (und das wollte schon etwas heißen!), fühlte ich mich dennoch, als wäre dies heute
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