voll im Einsatz
denke weiter über diese ganze blöde Situation nach.
»Ich hab dich beim Ausleeren eures Madame-Diamant-Kastens gesehen«, gestand mir Henry, nachdem ich meine Hand wieder da hingebracht hatte, wo sie hingehörte. Nämlich auf meine Seite des Tisches. »Und ich dachte, wenn ich dich als heimlicher Verehrer einlade, wäre das eine schöne Gelegenheit, ein paar Minuten ungestört mit dir zu verbringen. Trotz des eindeutigen Ratschlags, den ich auf meinen ersten Brief von Madame Diamant bekommen hatte … Ich meine, ich wollte einfach trotzdem mal gern mit dir allein reden, ohne Dodo und ohne deinen … deinen …«
Und von da an musste ich natürlich nur noch an Javi denken. (Blöde Dodo! Was glaubt die eigentlich von mir? Dass ich total herzlos bin?) Und dummerweise fielen mir von da an auch lauter Sachen an Henry auf, die mir vorher nie aufgefallen sind. Ich meine, Henry hat ohne Zweifel Klasse! Aber es gibt eben Sachen, die Henry zum Beispiel fehlen. Und die Javier zum Beispiel hat!
Dunkle Haare zum Beispiel. Einen spanischen Akzent. Eine freche Lücke zwischen den oberen Schneidezähnen. Kleine Kräusellocken hinter den Ohren. Die Art, beim Lachen den Kopf in den Nacken zu werfen … Oh, ich konnte gar nicht mehr aufhören, zu bemerken, was Henry leider alles NICHT hat!
»Henry, ich finde dich echt supernett!«, sagte ich schließlich mit fester Stimme. (Und sehr freundlichem Lächeln.) »Aber ich bin superglücklich mit meinem Freund, und das hab ich auch nicht vor zu ändern!«
Und das muss man Henry lassen, er ist ein wirklich guter Verlierer.
Zum Abschied gab er mir je ein Küsschen rechts und links auf die Wange, grinste und seufzte dann leicht. »Ist schon ein guter Typ, dein Javier!«
Dann lachte er, machte eine altmodische Verbeugung und näselte mit verstellter Stimme: »In diesem Fall möchte ich mich selbstverständlich nicht weiter aufdrängen, verehrteste Madame Diamant! Würden Sie mir aber vielleicht freundlichst Nachricht geben, falls sich diese Sachlage irgendwann einmal ändern sollte?«
Da mussten wir beide lachen. Henry ist wirklich süß. Und lustig.
Dodo war eben leider nicht so lustig drauf. Ich seufze schon wieder. Muss unbedingt gleich noch mal versuchen, sie anzurufen.
Wie? Worüber reden die hier gerade am Tisch? Und wieso schreien Kenny und Malea so laut HURRA?
Wir machen WAAAS morgen zur Feier von Remas Geburtstag? Aber ich dachte, wir gehen zu einer Modenschau oder so!
Sollten Gefühle nicht Wegweiser sein? Sollten die einem nicht zeigen, was Sache ist? Können sich Gefühle auch mal irren?
I ch liege im Bett und starre schon wieder genau denselben kleinen Fleck an der Wand an, den ich am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag bereits ausgiebigst angestarrt habe. Vor einer Stunde bin ich aufgewacht, aber ich konnte mich einfach noch nicht von der Stelle bewegen.
Sehr viel mehr Zeit zum An-die-Wand-Starren habe ich allerdings nicht, denn unten wartet Remas großes Geburtstagsfrühstück und dann geht’s ab zu der Überraschung, die sie die ganze Woche über mit Iris geplant hat. Ich muss lächeln, als ich daran denke, wie doll Kenny und Malea sich gestern gefreut haben. Ich hätte mich auch gefreut, ich gehe nämlich ganz gern in den Zirkus (obwohl da die Tiere manchmal unter ganz schlimmen Bedingungen zusammengepfercht sind, fast so übel wie in diesen Hühnergefängnissen, aber zum Glück kommt das sehr selten vor). Nur gerade heute …
Ich bin so durcheinander … So verwirrt … Das ist alles so viel, was passiert ist, und … und eigentlich ist es ja auch schön. Superschön. Oder etwa nicht?
Aber irgendwie … passt alles nicht zusammen.
So fühlt es sich jedenfalls an. Als ob nichts passt. Und ich fühle mich genauso.
Dabei sollte ich doch heute mit Schmetterlingen im Bauch und mit Sternchen in den Augen aufwachen! So was sollte man doch wohl erwarten, wenn der tollste Junge der Schule, in den man seit hundert Jahren verliebt ist, einen gefragt hat, ob man mit ihm ins Kino gehen will. Und so steht es auch immer in Iris’ kitschigen Liebesschmökern. ICH aber fühle mich überhaupt nicht so. GAR nicht. Keine Sternchen, keine Schmetterlinge, nur ein mieser Druck im Bauch. Vielleicht stimmt irgendwas mit MIR nicht?
Taps-klack, taps-klack, taps-klack!
Ich horche nach draußen und grinse. Ohne Zweifel kommt gerade Cornelius die Treppe hoch.
Armer Cornelius! Zwei gebrochene Zehen und den Fuß in Gips! Und mindestens zwei Wochen kein Schlagzeug spielen, hat der Arzt
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