Voll Speed: Roman (German Edition)
Asservatenkammer klargemacht, und dann ist Rocky da runter. Na ja, kann man sich ja vorstellen, was passiert, wenn man einen wie Rocky mit einem Elektroschocker auf ein Rudel Ratten loslässt. Gab ein ziemliches Gemetzel. Ratten sind zäh, die können echt ’ne Menge ab, aber bei 200000 Volt stehen ihnen nicht nur die Haare zu Berge. War kein erbaulicher Anblick, wie sie da mit rauchendem Fell unter dem Loch vorbeitrieben. Jedenfalls ist die Situation jetzt die, dass ich immer kumpelmäßig grüße, wenn ich in der Kanalisation einer Ratte begegne, die dann jedes Mal voll genervt den Kopf wegdreht und so tut, als würde sie mich nicht sehen – weshalb Rufus der Population unter dem Zoo inzwischen den Namen »Wendehälse« gegeben hat.
Kaum haben wir die Ratten passiert, schickt mir mein Bruder ein Grinsen, dass einem angst und bange werden kann. Der Typ hat komplett Oberwasser, heute. »Soll ich mal richtig aufdrehen?«
»Das geht noch schneller?«, rufe ich ungläubig.
Im nächsten Moment reißt Rufus das Lenkrad herum, und wir tauchen in eine Röhre ein, die so schmal ist, dass ich mit meinen Krallen die Wände berühren könnte. Ich ziehe automatisch den Kopf ein, dann spuckt uns die Röhre auch schon wieder aus, und wir befinden uns im Hauptsammelkanal unter der Straße des 17. Juni, wie Rufus mir sagt, bevor er den Regler bis zum Anschlag aufdreht und ich mit beiden Klauen den Rahmen der Windschutzscheibe umklammern muss, um nicht über die Reling geschleudert zu werden.
»Bike-Bull-Starterbatterie!«, ruft mir mein Bruder zu. Der Fahrtwind reißt ihm die Worte von den Lippen. »Zwölf Volt und knackige vierzehn Amperestunden! Alles, was für reinen Fahrspaß nötig ist.«
Ich blicke mich um und sehe, wie sich die Wellen, die wir erzeugen, mit denen kreuzen, die von den Rändern zurückgeworfen werden. Bei dem Tempo, überlege ich, müsste man mühelos Wasserski fahren können.
Wie sich herausstellt, bin ich nicht der Einzige, der diesen Gedanken hat: »Ich arbeite dran!«, ruft Rufus.
Er legt ein kühnes Wendemanöver hin, und wir rauschen mit der Chromleiste so nah am Begrenzungsstreifen entlang, dass keine Kreditkarte mehr dazwischenpassen würde. Das Heck des Bootes zieht einen perfekten Halbkreis ins kloakige Wasser, dann stehen wir plötzlich auf der Stelle, und der Motor knurrt wie ein Tiger vor dem Sprung. Rufus tritt einen Schritt zurück und sieht mich an. Seine vier Krallen klopfen der Reihe nach aufs Lenkrad.
»Wie sieht’s aus?«, fragt er.
Und dann stehe ich am Steuer, Rufus fährt den Regler hoch, wir schießen den Kanal hinab, der Fahrtwind drückt mir die Ohren nach hinten, und, ganz ehrlich, besser als das kann höchstens noch Sex mit Elsa sein. Und vielleicht nicht einmal der.
Als wir uns auf den Rückweg machen und wieder in die schmale Verbindungsröhre eintauchen, durch die wir vorhin in den Hauptsammelkanal gelangt sind, erwartet uns am anderen Ende eine gespannte Schnur, die mir nur deshalb nicht den Kopf abrasiert, weil sie sich vorher in der Reling verhakt. Das Boot stemmt sich störrisch gegen die Leine, und das mulmige Gefühl in meinem Bauch ist noch dabei, sich in meinem Körper auszubreiten, da tauchen an den Seiten zwei Rattenfratzen auf. Ich bin mir nicht sicher, könnte aber wetten, dass es die sind, die sich vorhin um den Cheeseburger gestritten haben. Auf jeden Fall gehören sie nicht zu den Wendehälsen, die unter dem Zoo leben. Sieht aus, als hätten wir uns zu weit auf fremdes Territorium vorgewagt. Hochmut kommt vor dem Fall, wie mein Bruder gerne sagt.
Rufus dreht den Regler herunter und legt einen Hebel um. Sofort beginnt das Boot, sich rückwärts zu bewegen. Wir tuckern durch die Röhre, doch bevor wir den rettenden Kanal erreicht haben, erkenne ich, dass auch dort eine Leine gespannt ist. Und unsere Freunde, die Ratten, kommen auch schon um die Ecke. Im Halbdunkel blicke ich vom einen Ende der Röhre zum anderen: vier Ratten von vorne, vier von hinten. Und wir stecken mit unserem Boot in einer sehr schmalen Röhre fest.
»Irgendeine Idee, was wir jetzt machen sollen?«, flüstere ich, während die Ratten langsam das Boot einkreisen.
»Warten«, erwidert Rufus. Auch seine Knie zittern, aber seine Stimme ist erstaunlich fest.
»Worauf? Dass sie uns fressen?«
»Das Wort ›Krise‹«, sagt mein Bruder und haut sich eine Klaue aufs Ohr, »setzt sich im Chinesischen aus zwei Schriftzeichen zusammen. Das eine bedeutet ›Gefahr‹, das andere
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