Voll streng, Frau Freitag!: Neues aus dem Schulalltag (German Edition)
kümmern? Sie selbst übernehmen ja keine Verantwortung – oder täten sie das, wenn ich mich zurückziehen würde? Kann ich ja mal ausprobieren. Aber ich weiß jetzt schon, dass ich das nicht schaffen werde. Es regt mich einfach zu sehr auf, wenn ich sehe, wie sie eine letzte Chance nach der nächsten verstreichen lassen.
Ich könnte natürlich sagen: Mein Job ist es, ihnen mitzuteilen, was sie wann wie machen müssen, und dann ist gut. Wenn sie das nicht tun … Pech. Aber ist das nicht zynisch und gemein? Geht das allen Lehrern so? Ich weiß, dass es bei uns an der Schule auch den Ich-grenze-das-alles-von-mir-ab-Typus gibt. Die haben dann aber meistens keine eigene Klasse und ein recht ruhiges Leben. Vielleicht ist das die Lösung. Erscheint mir aber tendenziell langweilig.
So frustriert, wie ich zurzeit von dem nicht existierenden Engagement meiner Klasse bin, so sicher bin ich mir trotzdem, dass sie ihren Weg irgendwie machen werden. Über viele Maßnahmen-Umwege werden sie irgendwann irgendwo landen und irgendwas machen. Viele von ihnen werden bestimmt sogar einer geregelten Arbeit nachgehen. Wenn ich nur die Möglichkeit hätte, mal einen Blick auf ihr Leben in zehn Jahren zu werfen, dann würde ich mich jetzt vielleicht nicht so aufregen. Vielleicht wird man auch entspannter, wenn man schon zig Klassen gehabt hat und im Laufe der Jahre erleben konnte, wie die dann doch alle noch die Kurve gekriegt haben. Na ja, wahrscheinlich nicht alle, aber doch viele.
Vielleicht sehe ich alles einfach zu schwarz. Morgen komme ich bestimmt in die Schule, und alle meine Schüler erzählen mir freudig, dass sie sich am Wochenende auf mehrere Ausbildungsplätze beworben haben. Und wenn nicht, dann ist das auch nicht so schlimm, denn irgendwo müssen diese Millionen von Arbeitslosen ja herkommen.
Stellen wir uns mal vor, wir hätten gerade Vollbeschäftigung, und meine Schüler müssten sich gar nicht bewerben. Die Ausbilder würden zu uns in die Schule kommen und mit Geschenken um unsere Schüler buhlen. Keiner müsste einen Lebenslauf schreiben, man bekäme den Ausbildungsvertrag gleich vor Ort auf dem Hof in der großen Pause. Wie stünde ich denn dann da?
»Sehen Sie, Frau Freitag, das stimmt alles nicht, was Sie immer sagen. Gucken Sie, ich habe gleich zwei Plätze als Mechatroniker bekommen, und sogar Mehmet hat ein Angebot von Lufthansa, er kann da Pilot oder Stewardess machen. Und zwei Kulis, und diese Ballons gab es auch noch. Gucken Sie!«
Schlimm wäre das. Unglaubwürdig würde ich wirken. Die Schüler würden mir gar nichts mehr glauben. »Pah, think soll ein unregelmäßiges Verb sein? Wahrscheinlich lügt sie wieder.« Nein, nein, also Vollbeschäftigung – ohne mich.
Ich freue mich sehr auf die kommende Woche. Denn meine Klasse hat mal wieder die Chance, mich zu verblüffen. Am Freitag sollen sie die Anmeldung für ihre Realschulprüfung abgeben. Wenn sie das bis Freitag nicht machen, können sie nicht an den Prüfungen teilnehmen, und vor allem können sie dann bei Nichtbestehen nicht automatisch das 10. Schuljahr wiederholen. Okay, wenn die Lehrer zustimmen, darf auch jemand, der nicht durch die Prüfung gefallen ist oder sogar nicht einmal teilgenommen hat, das Jahr wiederholen. Aber das muss abgestimmt werden, und ich werde bei keinem meiner Schüler dafür stimmen. Bis Freitag heißt bis Freitag! Ich werde nur ihren eigenen Tod als Entschuldigung gelten lassen, obwohl, da könnten ja auch immer noch die Eltern die Anmeldung vorbeibringen.
Das Wiederholen der 10. Klasse ist bei uns schwer in Mode gekommen, da es so bequem ist. Man muss sich um nichts kümmern und darf noch ein Jahr kuschelig in der Schule sitzen, und Kindergeld gibt es auch noch weitere zwölf Monate.
Am Freitag werde ich sehen, ob meiner Klasse ein qualifizierter Schulabschluss genauso wichtig ist wie der Besuch im Heidepark Soltau. Eigentlich sollte man doch meinen, dass bessere Berufschancen einen Dreifachlooping und eine Holzachterbahn schlagen würden, aber ich bin mir da bei meinen Schülern gar nicht so sicher.
Am Ende des letzten Schuljahres – ich erinnere mich, als sei es gestern gewesen – haben meine Schüler mich echt überrascht, als sie von einem Tag auf den anderen 40 Euro für unseren Vergnügungsparkausflug und einen unterschriebenen Elternbrief mitbrachten.
Ich hab’s, wir machen die Realschulprüfung im Heidepark! Zwischen den schriftlichen Arbeiten ist jeweils eine Stunde Zeit, mit der Achterbahn zu
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