Volle Drehzahl: Mit Haltung an die Spitze (German Edition)
sogenannte Erholzeitpause zu kürzen, führte zum nächsten Konflikt. Er griff in einen Arbeitsbereich ein, in dem die Produktivität ständig gesteigert werden sollte. Genau dort wollte er die Pausen kürzen, für mich wieder eine große Ungerechtigkeit!»Jetzt ist mal Schluss mit diesem Schmusekurs, die Zeit der Weicheier ist vorbei«, warf ich ihm in gewohnter Lautstärke an den Kopf. Meine geschwollene Halsschlagader verschaffte mir in diesen Situationen zusätzlichen Respekt. Es entwickelte sich eine in aller Härte geführte Auseinandersetzung, in der es aber immer nur um die Sache ging. Am Ende feierten wir den Fortbestand unserer Erholzeitpause und Dr. Wiedeking hatte Frieden.
In dieser Zeit hatte ich angefangen, mich fortzubilden. Die Arbeitswelt war komplexer geworden und ich wollte mitreden können. Begriffe wie »Tarifautonomie« klangen ja gut, aber ich wollte sie auch richtig benutzen können. Ich brauchte Wissen. Ich belegte Abendkurse, besorgte mir Fachliteratur und tauschte mich mit anderen Gewerkschaftern aus. Tarifverträge, Arbeits- und Sozialrecht, Produktionsabläufe: Ich belegte Schulungen bei der IG Metall, selbst einen Rhetorikkurs gönnte ich mir. Wenn es hart auf hart kam, wollte ich nicht nur mitreden können, ich wollte zu 100 Prozent kompetent sein. Ich glaube, ich kann mich heute ohne zu übertreiben einen halben Juristen nennen und ich bin mir sicher, dass ich mit vielen Studierten mithalten kann. Der zweite Bildungsweg bedeutet keine geringere Qualifikation und ich fühle mich stets auf Augenhöhe mit unseren Vorständen, wenn es um Arbeits-, Tarif- und Sozialrecht geht. Ich habe meine Hausaufgaben gemacht.
1994, nach meiner Wahl zum Vertrauenskörperleiter, wurde ich freigestellter Betriebsrat. Ich verabschiedete mich in der Lackiererei, aber nicht, um meine Kollegen zu verlassen. Ich wollte jetzt ganz für sie da sein. Drei Jahre später kam die nächste Wahl: Mit großer Mehrheit machten mich die Kolleginnen und Kollegen zu ihrem Betriebsratsvorsitzenden von Zuffenhausen und Ludwigsburg. Jetzt war ich Nachfolger vonFranz Steinbeck. Wieder nur ein Jahr später erklomm ich die nächste Stufe und wurde Mitglied des Aufsichtsrats. Ich habe nie viel Urlaub gemacht in meinem Leben, von da an aber wurde Freizeit endgültig zu einem Fremdwort, daran hat sich bis heute nichts geändert. Was soll ich denn auch in Spanien oder der Toscana? Dort hätte ich nicht mal ein Rednerpult und das Hotel würde sich wahrscheinlich in einer Gegend ohne Mobilfunknetz befinden – eine schreckliche Vorstellung!
Pause machen bedeutete für mich Dampf ablassen und das hätte einen ungewünschten Druckabfall zur Folge. Ich brauche diesen Druck, ständig und überall. Auch wenn meine Familie gelegentlich darunter leidet, einen Urlaub am Strand oder eine Kreuzfahrt kann ich mir nicht mal vorstellen. Ich stehe gerne unter Strom und nicht ganz ohne Grund hat mich Der Tagesspiegel einmal den »Boxermotor von Porsche« genannt. Das gefällt mir.
Meine Zeit als Betriebsratsvorsitzender wollte ich nicht bequem gestalten und aus meinem Büro auf die Produktionshallen herabschauen. Ich hatte ein bisschen mehr Macht bekommen und die wollte ich nicht einfach ausspielen. Im Gegenteil, ich wollte meine erweiterten Befugnisse einsetzen, um noch mehr gestalten zu können in dieser oft so konfliktreichen Arbeitswelt. Seit mehr als 15 Jahren pflege ich bestimmte Rituale. In Zeiten verstärkter Produktion, wenn am Samstag Sonderschichten gefahren werden, halte ich es für meine Pflicht, auch auf dem Betriebsgelände zu sein. Ich könnte es nie akzeptieren, Freizeit zu feiern oder zu Hause im Garten zu liegen, wenn bei uns die Kollegen in der Extraschicht stehen. Das mache ich, weil ich absoluten Respekt vor der Belegschaft und deren Leistung habe. Irgendwann an so einem Samstag mit Extraschicht habe ich angefangen, mich an der Pforte bei jedem zu bedanken und mich zu verabschieden.Ich stehe dann am Werkstor und habe ein Wort des Dankes für jeden, der uns an diesem Tag unterstützt hat, weil wir die Produktionsziele sonst nicht erreichen würden. Immerhin haben die Kolleginnen und Kollegen ihre samstägliche Pflicht zu Hause verschoben. »Kehrwoche« heißt es auf Schwäbisch und es ist nicht einfach für einen Schwaben, wenn die Gasse erst nachmittags um vier statt morgens um zehn Uhr gekehrt wird. Seit 15 Jahren pflege ich diesen kleinen Zusatzdienst an der Pforte und ich bin mir sicher, dass die vielen persönlichen
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