Volle Drehzahl: Mit Haltung an die Spitze (German Edition)
gehört hätte, wäre er nie durch das Rote Meer gelaufen.
1990, ich war jetzt schon fünf Jahre Porscheaner, hörte ich von immer mehr Kollegen, dass man in mir einen geeigneten Kandidaten für die Betriebsratswahl sehe. Es machte mich stolz und ich konnte mir sicher sein, einen großen Teil der Belegschaft hinter mir stehen zu haben. Uwe Hück im Betriebsrat, ich an einem Tisch mit den Bossen! Lohnerhöhungen durchsetzen, für flexiblere Arbeitszeiten kämpfen, die Subventionen für unsere Kantine erhalten – das gefiel mir. Ich muss allerdings auch zugeben, dass ich großen Respekt vor dieser Aufgabe hatte. Was wusste ich denn über Arbeitsrecht und Produktionsabläufe wirklich? Ich war Lackierer und konnte reden, notfalls auch schreien, aber würde das ausreichen, um mit den Vorständen an einem Tisch zu verhandeln? Das Eis war noch dünn, aber ich wagte mich darauf, auch auf die Gefahr hin, auszurutschen oder gar einzubrechen. Mit der Erfahrung meines Sportlerlebens redete ich mir ein, dass es nichts anderes sei als der nächste Kampf. Im Ring hatte ich gelernt, Respekt vor dem Gegner zu haben, keinesfalls aber Angst. Bald würde ich für jede Menge Menschen boxen! Uwe Hück im Betriebsrat: Ich betrat zwar Neuland,aber ich wusste, dass ich es mit einem gut bestellten Acker zu tun hatte. Porschekultur gab es nämlich wirklich! Schon 1956, als die Nachkriegsrepublik aus ihrer Lethargie erwacht war und das spätere Wirtschaftswunder allmählich Konturen annahm, setzte Ferry Porsche, der Firmengründer, eine Betriebsrente durch. In einer Zeit, da die Wirtschaft nur am Wachstum orientiert war und Arbeitnehmerrechte erst noch erkämpft werden mussten. Als die strengen Winter kamen und die Menschen mehr Geld brauchten, um ihre Wohnungen heizen zu können, wurde das Kohlegeld eingeführt. Ferry Porsche erfand das Maigeld, eine kleine Unterstützung für seine Arbeiter, damit die am Tag der Arbeit auch etwas zu trinken hatten. Der Volksmund nannte es lieber Biergeld. Später setzten die Betriebsräte das Jubiläumsgeld durch, Sonderzahlungen für 25 oder 40 Jahre Betriebszugehörigkeit. Heute haben wir eine Kameradschaftskasse, aus der wir Geschenke für runde Geburtstagskinder bezahlen, aber auch für Jubilare und andere Anlässe. Es gibt auch eine Sterbegeldkasse, in die neben den Beiträgen der Kolleginnen und Kollegen auch Zahlungen des Unternehmens einfließen. Es gibt Sterbegeld bei Porsche, denn der Tod wird immer teurer. Aus der Sterbegeldkasse zahlen wir die direkten finanziellen Zuwendungen für die Angehörigen.
Auch Weihnachten 2010 verlief friedlich: Während die Kollegen in anderen Unternehmen der Automobilbranche wieder Abstriche hinnehmen mussten, haben wir unserer Belegschaft eine einhundertprozentige Auszahlung des Weihnachtsgeldes garantiert. Selbst in den schlimmsten Zeiten, als Porsche fast insolvent war, blieben die bestehenden Tarifverträge unangetastet. Wir können heute auf eine ausgeprägte soziale Kultur in unserem Konzern blicken. Die aber konnte sich nur entwickeln, weil den Arbeitgebern eine sehr selbstbewusste Belegschaftgegenüberstand, bis heute. Schon der kleinste Versuch der Vorstände, an diesen sozialen Errungenschaften zu rütteln, würde unweigerlich in einer Zuffenhausener Revolution enden. Ich würde einen Arbeiteraufstand organisieren und anführen, auch wenn die Produktion vorrübergehend ruhen müsste.
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Uwe Hück bei einem Streik
1991 kam Dr. Wiedeking zu Porsche zurück, zuerst als Vorstandsmitglied, ab 1992 als Sprecher des Vorstandes, ein Jahr später als Vorstandsvorsitzender. Trotz aller späteren Erfolge verband mich mit ihm zunächst eine sehr schwere Zeit. Die Familie Porsche hatte ihn zum Vorstandsvorsitzenden bestellt, als der Konzern am Boden lag. Wir bei Porsche hatten lange Jahre die wesentlichen Entwicklungen verschlafen und die notwendigen Veränderungen nicht erkannt. Ein »Weiter so« hätte uns zerstört. Wir waren doch immer die Besten und die Größten, was sollte uns denn passieren? Erst 1992, als die Absätze weltweit eingebrochen waren und wir tiefer in die Verlustzone gerieten, realisierten wir: Porsche hatte zu lange im eigenen Saft geschmort. Mich erinnerte unsere Situation an die düsteren Filme aus den USA zu Zeiten der Depression und Rezession.
Dr. Wiedeking sollte Porsche entschlacken und das bedeutete schmerzhafte Eingriffe. Wir erlebten eine geradezubrutale Entlassungswelle. Die Belegschaft wurde von 9 000 auf 6 500
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