Volle Drehzahl: Mit Haltung an die Spitze (German Edition)
verschont von einer Architektur, die ich schon immer als menschenverachtend empfunden habe. Hochhäuser für die Entfremdung der Menschen, Wohnkästen für die Anonymität. Keimzellen einer Gesellschaft, die aufgrund dieser Lebensbedingungen immer weiter abrutscht auf der sozialen Leiter. Plattenbauten in einem tristen Einheitsgrau, nicht einmal von einer Farbgebung im modernen Wohnungsbau schienen die Architekten je gehört zu haben. Wir bauten Ghettos, in Hamburg hießen sie Steilshoop, in Bremen Neue Vahr, in Berlin Marzahn, in Pforzheim Haidach. Kaum waren die Wohnblocks bezogen, entwickelte sich ein ganzer Stadtteil zu einem sozialen Brennpunkt. Die Architekten und Stadtplaner hatten Geschäfte, Kneipen, Cafés und Restaurants vergessen. Auf dem Haidach fehlte es an Treffpunkten, der ganze Stadtteil war eine einzige Fehlkonstruktion.
Als ich mich zu Beginn der achtziger Jahre mit der Caritas um die Vietnamesen kümmerte, waren wir immer bemüht, die Flüchtlinge auf verschiedene Stadtteile zu verteilen, um einer Ghettoisierung vorzubeugen. Als später die Russlanddeutschen kamen, war der Zustrom zu stark, um eingreifen zu können. Der Haidach wurde schnell zum Aussiedler-Hügel, der Volksmund benutzte lieber Spitzamen wie »Russenghetto« oder »Klein-Russland«. 14 000 Spätaussiedler überforderten die Sozialämter der Stadt und die damals noch bescheidenen Mittel der Integrationspolitik reichten nicht aus, um eine soziale Einbindung der Russen, Kasachen und Ukrainer erfolgreich zu gestalten. Die Aussiedler grenzten sich bald ab, weil sie überall Ablehnung erfuhren. Russlanddeutschewurden schon in ihrer alten Heimat nicht als Russen behandelt und hatten in Deutschland Probleme, Deutsche zu werden. Die Russen nannten sie Nazis und die Deutschen nannten sie Russen. Zu Beginn der neunziger Jahre spürten wir in Pforzheim ein großes Konfliktpotenzial. Die Republikaner wurden stärker, die antirussische Stimmung bescherte ihnen 11,2 Prozent aller Stimmen bei den Kommunalwahlen. Die Kriminalität auf dem Haidach wuchs überproportional. Viele Jugendliche, die von heute auf morgen aus ihrem Umfeld in Odessa oder Petropawl herausgerissen worden waren und in Deutschland auf Kälte und Ablehnung stießen, lungerten in den Straßen herum und organisierten sich zu Banden. Drogen, Prostitution, Raub und schwere Körperverletzung waren die Folge. Die Kriminalstatistiken wiesen Haidach als das Problemviertel von Pforzheim aus. Es gab Zeiten, da mied selbst die Polizei bestimmte Straßen. Die Perspektive der Jugend wurde düsterer, denn es gab keine Arbeit. Immer weniger Betriebe waren bereit, junge Leute auszubilden, wenn diese vom Haidach kamen. Gut ein Viertel der Spätaussiedler befand sich damals noch im Ausbildungsalter, schätzte das Jugendamt. Doch keiner vermochte sich vorzustellen, wie viele von ihnen schon abgestempelt waren als Asoziale und Kriminelle. Ich wusste damals, wie ihnen zumute gewesen sein muss. Ich hatte als Junge lange genug den Stempel des Heimkindes auf der Stirn getragen.
Zu den weiteren sozialen Spannungsfeldern gehörte die Nachbarschaft der Stadtteile Haidach und Buckenberg. Hier die triste und berüchtigte Plattenbausiedlung, dort die etwas gehobene Wohngegend mit Einfamilienhäusern und Schrebergärten. Wir hörten oft, es würde sich etwas zusammenbrauen in dieser Gegend. Die Stimmung schwankte bedenklich zwischen Bürgerzorn und Selbstjustiz, aber es gab auchgute Nachrichten. Die großartige Arbeit der Elterninitiative Buckenberg-Haidach und Hagenschieß e.V. fing an, Erfolg zu haben. Das Haidacher Zentrum engagierte sich für mehr Integration, die Stadt installierte Streetworker und auch aus dem Sportverein kamen positive Signale. Ein immer größer werdender Teil der Bürger war nicht länger bereit zuzuschauen, wie dieser Bereich Pforzheims mit seinen hässlichen Häusern vollends vor die Hunde ging. Der FSV Buckenberg 1921 e.V. verstand sich als Heimat aller Menschen dieser Gegend und manifestierte das auch deutlich in seiner Satzung. Dieser Verein wollte offen sein für jeden, der Sport treiben wollte, unabhängig von seiner Herkunft, seinem Geschlecht oder seinem Alter. Über den hohen erzieherischen Wert der Sportvereine und ihren wichtigen Beitrag zur Integration von Mitbürgern mit Migrationshintergrund gab es viele Abhandlungen zu dieser Zeit. Auch in Pforzheim profitierten wir von einer ausgeprägten Vereinskultur in der Gesellschaft, und der Erfolg dieser Einrichtungen ließ
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