Volle Drehzahl: Mit Haltung an die Spitze (German Edition)
Leute nie aus den Augen verloren hat. Ich bin überzeugt, dass er damals seinen Privatwagen verkauft hätte, um die Kollegen zu Weihnachten wie gewohnt zu belohnen. Wenn dieses Land mehr Unternehmer dieses Kalibers hätte, wären uns viele Heuschrecken und Entbeiner erspart geblieben. Ferry Porsche hatte Moral und er lebte sie vor.
Fünf Jahre später, am 27. März 1998, verstarb der Übervater dieses so erfolgreichen Unternehmens. Es ist mir bis heute eine außerordentliche Ehre, dass ich im Namen der Belegschaft die Trauerrede halten durfte. Fünf Jahre nach unserem Kennenlernen auf dem Hof stand ich jetzt auf dem Zuffenhausener Werksgelände, wo die 911er gebaut werden. Dort, wo er sich diese Trauerfeier wohl selbst gewünscht hätte. Es war der 3. April 1998, mehr als 7 000 Menschen schauten mich an und ich hielt die wichtigste Rede, die ich bis dahin zu halten hatte. Ich wollte nicht an den herausragenden Techniker und genialen Konstrukteur erinnern, sondern an diesen faszinierenden Menschen und seine große sozialeVerantwortung. »Willst du frei reden oder nach einem Manuskript?«, fragte mich Dr. Wiedeking. Ich hatte keine Erfahrung mit Reden von derartiger Bedeutung und überlegte noch. »Schreib es dir auf, das ist sicherer«, riet mir der Chef und es war ein guter Ratschlag. Bei meiner Wortwahl vertraute ich meiner einfachen, klaren Sprache. Nichts finde ich peinlicher, als wenn Menschen sich bei einer öffentlichen Rede einer geschwollenen und gestelzten Sprache bedienen, nur weil sie glauben, dass es die Situation erfordere. Ich sprach so, wie ich mit Ferry Porsche immer gesprochen hatte. »Für uns war und ist der Professor mehr als nur Konstrukteur und Arbeitgeber. Wir schätzten an ihm seine Nähe zur Belegschaft, seine Wärme, seine Menschlichkeit. Er hatte immer ein offenes Ohr für unsere Sorgen und Probleme. Er hat immer gewusst, dass die arbeitenden Menschen einen großen Teil zum Erfolg dieses Unternehmens beitragen und er hat sie deshalb immer an diesem Erfolg teilhaben lassen. Für viele Sozialleistungen, lange bevor sie in Tarifverträgen verankert wurden, war dieses Unternehmen der Vorreiter. Sie sind untrennbar verbunden mit dem Namen Porsche. Bereits 1961 erhielten die Beschäftigten Weihnachtsgeld, wie es in der Branche absolut nicht üblich war.« Ich musste kurz an unsere Weihnachtsgeldvereinbarung denken und verstand jetzt noch besser, warum der Professor damals so schnell auf meiner Seite war. »Seit 1961 gab es bei Porsche zusätzliches Urlaubsgeld, damit die Arbeiter und ihre Familien im Urlaub etwas unternehmen konnten. Sie sollten sich erholen von den Mühen der Arbeit, und dies bekamen vor allem diejenigen, die es nötiger hatten als andere. Weil der Professor seine Angestellten kannte, wusste er, dass das Geld so schnell zu Ende geht wie seine Autos schnell sind. Also gab es von Beginn der sechziger Jahre an zusätzlich eine Herbsthilfe, für allein der Firma in gleicher Höhe. Ferry Porsche mochte keine unterschiedliche Behandlung seiner Beschäftigten. Am 25. Februar 1960 schrieb er an seine Mitarbeiter, es sei bei uns immer üblich gewesen, die Arbeiter den Angestellten sozial gleichzustellen, um zwischen geistiger und manueller Arbeit keinen Unterschied zu machen. Ab April 1960 wurden alle Arbeiter, die bei uns im Stunden- oder Akkordlohn standen, in den Monatslohn übernommen … Im gleichen Jahr wurde die Lohnfortzahlung für den Krankheitsfall eingeführt … Schon seit 1956 haben wir eine zusätzliche betriebliche Altersversorgung. Der Professor war immer der Meinung, dass die Mitarbeiter, die die meiste Zeit ihres Lebens für Porsche tätig waren, ihren wohlverdienten Ruhestand finanziell abgesichert genießen sollten.« Stundenlang hätte ich weiterreden können, es gab so viele soziale Errungenschaften, die wir diesem einzigartigen Unternehmer verdankten. Ich beendete meine Rede, schaute nach vorne in die erste Reihe und versprach der Familie Porsche, immer für diese Firma und deren Belegschaft kämpfen zu wollen. Ich verneigte mich ein letztes Mal vor dem großen Bild, das neben meinem Rednerpult auf der Bühne stand. Sie mögen mich für einen unverbesserlichen Sozialromantiker halten, aber Ferry Porsche werde ich ewig dankbar sein.
Bei allem Verständnis für zwingend notwendige Reformen geriet ich mit Dr. Wiedeking weiterhin aneinander, meist in kämpferischer Absicht, ohne jedoch einen konstruktiven Konsens aus den Augen zu verlieren. Sein Vorhaben, uns die
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