Volle Drehzahl: Mit Haltung an die Spitze (German Edition)
zu leben, sollen aber stolz darauf sein dürfen, woanders geboren zu sein. Ich verlange eine strenge Integration und das Lernen der deutschen Sprache, aber dafür brauchen wir keine deutsche Leitkultur. Stattdessen brauchen wir Werte! Diese Sätze eines Deutschen in einer türkischen Zeitung haben für viel Aufsehen gesorgt und Bülents Vater Ahmed zu Tränen gerührt.
In unserer globalen Welt wird es eines Tages normal sein, mehrere Ausweise zu besitzen. Ich rate unseren jungen Kolleginnen und Kollegen, die wir ins Ausland schicken, sich Zeit zu nehmen, die neuen Länder auch zu entdecken und dort nicht nur unsere Technologien voranzutreiben. Warum sollten sie nicht sogar bleiben, wenn es ihnen gefällt? Wir sind doch schon dabei, unsere Kulturen zu verschmelzen, ohne unsere Identitäten dabei zu vergessen. Ich bin ein schwäbisches Heimkind, verheiratet mit einer Vietnamesin, deren Familie aus China vertrieben wurde. Ich habe drei deutsche Söhne, zwei davon mit Migrationshintergrund. Meine Freunde kommenaus Russland, Polen, der Türkei oder Griechenland, ich lebe nach protestantischem und buddhistischem Glauben und bin verantwortlich für eine Belegschaft, die sich aus über 50 verschiedenen Nationalitäten zusammensetzt. Mir kann dieser Scharlatan Sarrazin nicht erzählen, dass wir unser Land aufs Spiel setzen. Ich werde weiter ankämpfen gegen diese Untergangsszenarien, ich werde diese Stammtischparolen auch in Zukunft entlarven und ich werde weiter Sarrazins Ausschluss aus der Partei fordern. Ich wünsche mir ein einheitliches Auftreten meiner Partei. Viele Genossinnen und Genossen haben ihren Kampf für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität mit dem Leben bezahlt. Deshalb erwarte ich, dass die SPD sich von dem Gedankengut eines Sarrazins distanziert. Mehr noch: Sie muss ihn ausschließen! Die SPD braucht die Wähler aus allen politischen Lagern wie ein Flugzeug einen rechten und linken Flügel brauch, um fliegen zu können. Auf die Stimmen aus dem Sumpf islamfeindlicher Verschwörungstheorien und sozialdarwinistischer Pseudowissenschaften aber sollten wir besser verzichten und stattdessen lieber eine klare Abgrenzung deutlich machen. Deutschland ist nicht so dumm, als dass es sich abschaffen würde.
Dass Thilo Sarrazin mit seinem nächsten Buch noch mehr Spott und Kopfschütteln erntete, wundert mich nicht. Europa braucht den Euro nicht ist meiner Meinung nach sein nächster geistiger Tiefflug über die Stammtische! Der Volkswirt bedient die Ressentiments der D-Mark-Nostalgiker, sinniert von einem Deutschland ohne Solidaritätszuschlag und geißelt die deutsche Zahlmeistermentalität in Europa, mit der wir uns von unserer schlimmen Geschichte des Dritten Reichs freikaufen wollen. » … getrieben von jenem sehr deutschen Reflex, wonach die Buße für Holocaust und Weltkrieg erst endgültig getan ist, wenn wir alle unsere Belange, auch unserGeld, in europäische Hände gelegt haben«. Es ist für mich nur schwer zu ertragen, dass dieser Autor mit seinen dumpfen Vorurteilen und Halbwahrheiten eine Bühne bekommt, die viele meiner Freunde im Ausland schon wieder misstrauisch werden lässt ob so viel nationaler Überheblichkeit und Selbstgefälligkeit. »Für Italien zeigt die jahrzehntelange Erfahrung, dass vorausplanendes Nachdenken und rationale Argumentation nicht wesentliche Triebfedern dieser Gesellschaft (…) sind« – eine derart plumpe Verunglimpfung südländischer Mentalität führt in diesem Land aber immer noch schnurstracks in die Bestsellerlisten. Von 0 auf 1 mit Sätzen wie diesem: »Objektive Faktoren sind für diese Unterschiede nicht maßgebend, vielmehr ist es die Mentalität der Völker. Im Durchschnitt kann man sagen, dass finanzielle Solidität in Europa umso ausgeprägter war und ist, je sonnenärmer das Klima und je länger und dunkler der Winter.« Kein Wort davon, dass der Euro und eine gemeinsame Wirtschaft auch Zeichen europäischer Aussöhnung sind. Keine Sorge, dass der Zerfall der europäischen Wirtschaftsunion das Wiedererstarken des Nationalstaatsdenkens begünstigen und Europa in altes Führungsdenken leiten könnte. Der selbsternannte Auf klärer und Tabubrecher surft auf einer Welle der Empörung und verkauft sein gefährliches Spiel gut.
Reinhold Robbe, der Präsident der deutsch-israelischen Gesellschaft, meinte im Sommer, mit Sarrazin solle sich einfach niemand mehr in eine Talkshow setzen. Da bin ich anderer Meinung und ich würde nur zu gerne mit diesem Populisten
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