Volle Drehzahl: Mit Haltung an die Spitze (German Edition)
Schmarotzer« als Grundübel unserer kaputten Sozialstaatspolitik ausgemacht hat, lässt sich im Buch vor Sarrazins Karren spannen. Lösungsvorschläge etwa zur Beseitigung bildungspolitischer Probleme aber haben beide vermissen lassen. Wenn in Berlin ein Kind aus der sogenannten Oberschicht eine fünfmal höhere Chance hat, einen Platz auf einem Gymnasium zu bekommen, als ein Kind von gleicher Intelligenz aus einer Arbeiterfamilie, dann ist das der eigentliche Skandal einer verfehlten Bildungspolitik. Wie sollten wir einem Kind mit Migrationshintergrund glaubhaft machen, dass es in diesem Land alle Chancen eines sozialen Aufstiegs hat, wenn schon das deutsche Arbeiterkind benachteiligt ist? Ich habe am eigenen Leib erfahren, wie gering meine Chancen waren. Nur durch meinen Willen, durch meine Erfolge als Sportler, durch meine eiserne Disziplin und auch mit ein bisschen Glück hatte ich die Tür zur Bildung aufgestoßen. Damals hatte ich laut darauf bestanden, »das gleiche Recht zu haben, gescheit zu werden wir ihr«. Aber es kann nicht Sinn der Sache sein, dass man erst zweifacher Europameister werden muss, um eine Chance zu bekommen.
Warum kann an Berliner Schulen nicht die Chancengleichheit praktiziert werden, die bei uns in Zuffenhausen und in den anderen Porsche-Standorten so gut funktioniert? Wir haben uns verpflichtet, mindestens 40 Prozent unserer Lehrlingevon den Hauptschulen zu holen. Das ist nur ein kleines Beispiel sozialer Kompetenz, aber wir haben großen Erfolg damit. Wir müssen uns kümmern um diese Menschen, auch nach ihrer Abschlussprüfung. Wir können die nächste Generation doch nicht ausbilden, um sie danach in Hartz IV zu entlassen. Ausländische Kolleginnen und Kollegen genießen bei uns von jeher eine Gleichbehandlung und das nicht, um irgendwelche Quoten zu erfüllen. 14 Prozent aller Mitarbeiter bei der Porsche AG haben keine deutsche Staatsangehörigkeit, dazu kommen die Kolleginnen und Kollegen, die zwar einen deutschen Pass, aber ausländische Wurzeln oder eine doppelte Staatsbürgerschaft haben. Den größten Anteil an der ausländischen Belegschaft stellen die Mitarbeiter aus der Türkei, gefolgt von den griechischen, italienischen, kroatischen und österreichischen Kolleginnen und Kollegen weiterer Nationalitäten. Es gab in den letzten Jahren zahlreiche Jubiläen sogenannter Anwerberabkommen, die wir mit Veranstaltungen unter dem Motto »Gelebte Integration bei Porsche« feierten. Ich habe mich oft gefragt, warum die Bundesrepublik Deutschland diese vielen Abkommen unterzeichnet hat, warum diese Menschen als Arbeitskräfte angeworben wurden, um sie später hier zu beschimpfen.
Ich hätte mir gewünscht, dass Thilo Sarrazin bei einer dieser Veranstaltungen in Stuttgart dabei gewesen wäre. Er hätte erlebt, wie man die Probleme der Integrationspolitik auch ohne ehrverletzende Phrasen und wortgewaltige Keulen ansprechen kann. Der Vorstandsvorsitzende Matthias Müller zeichnete nicht nur das Bild der rosafarbenen Porsche-Welt: »Ich persönlich würde mir sehr wünschen, dass mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus zugewanderten Familien auch als Ingenieure in der Entwicklung oder als Fach- und Führungskräfte im Management Karriere machen.« An dieanwesenden Mitarbeiter appellierte der Porsche-Chef, die Schulbildung ihrer Töchter und Söhne ernst zu nehmen. »Sprachkenntnisse und Bildung sind der wichtigste Schlüssel zur Integration – und eine lohnenswerte Investition in die Zukunft Ihrer Kinder«. Ich war froh, dass wir diese Veranstaltung vor einem so großen Publikum abhalten konnten. Bei vielen Kolleginnen und Kollegen hatte die öffentliche Diskussion nach den Sarrazin-Thesen Narben hinterlassen. Manche, die sich nach Jahren bei Porsche integriert gefühlt hatten, berichteten jetzt von ihrer Verzweiflung, weil sie sich wieder zurückgeworfen fühlten. Dass sie sich obendrein von der Politik im Stich gelassen sahen, verschlimmerte die Sache nur. Sie können sich gar nicht vorstellen, was dieser Thilo Sarrazin in diesem Teil unserer Gesellschaft angerichtet hat. Gerne hätte ich ihm mein wahres Leben mit meinen ausländischen Mitbürgern gezeigt, das so weit weg war von seinen obskuren Angstszenarien in Berlin-Neukölln. Ich hätte ihn gerne einmal mitgenommen auf die Straße, auf den Haidach, nach Pforzheim oder nach Stuttgart. Mitgenommen zu den Menschen, die mein Leben täglich mitgestalten. Mitgenommen zu den Türken, Griechen, Polen und Russen und den vielen anderen,
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