Vollendet - Der Aufstand (German Edition)
reißen. Den Kopf in die Hände gestützt, sitzt er vor dem Schminktisch.
»Hast du gehört, was sie über mich gesagt hat? Hast du es gehört?«
»Wo ist sie?«
»Kopf in den Sand! Schildkröte im Panzer! Lass mich in Ruhe!«
»Konzentriere dich, Cam! Sie war mit dir im Studio. Wohin ist sie gegangen?«
»Sie ist weggelaufen. Sie sagte, es ist vorbei, sie ist Geschichte. Dann ist sie die Feuertreppe runter.«
»Sie wird tatsächlich Geschichte sein, wenn ich mit ihr fertig bin.«
Roberta nimmt die Feuertreppe. Sie befinden sich im ersten Stock, und Risa kann nur hinaus auf den Parkplatz gelaufen sein, der zu dieser Tageszeit fast leer ist. Mehr als fünfzehn Sekunden Vorsprung kann sie eigentlich nicht haben, aber sie ist nirgends zu sehen. Der einzige Mensch weit und breit ist ihr Fahrer. Er lehnt an seinem Wagen und isst ein Sandwich.
»Haben Sie sie gesehen?«, fragt Roberta.
»Wen?«, fragt er.
Und da beginnt Robertas Telefon zu klingeln, als werde es nie wieder aufhören.
75.
Cam
Roberta kehrt von ihrer erfolglosen Suche nach Risa zurück. Cam begegnet ihr im Green Room, wo inzwischen zwei Sicherheitsleute warten, die sehr erpicht darauf sind, sie hinauszugeleiten. Sie telefoniert und steckt schon mitten in der Schadensbegrenzung.
»Antarktis«, sagt Cam. »Ich hätte da draußen was sagen sollen, aber ich bin erstarrt.«
»Was geschehen ist, ist geschehen.« Sie knurrt unwillig, weil die Verbindung unterbrochen wurde. »Machen wir, dass wir hier wegkommen.«
»Ich komm dann zum Wagen«, erwidert Cam. »Meine Sachen sind noch in der Garderobe.«
Die Sicherheitsleute führen Roberta mit ernsten Gesichtern aus dem Gebäude und Cam geht zurück in seine Garderobe. Er zieht seine Sportjacke an und steckt die sorgsam aufgerollte Krawatte in die Tasche. Als er sicher ist, dass Roberta das Gebäude verlassen hat, sagt er: »Die Luft ist rein, sie ist weg.«
Die Schranktür geht auf und Risa tritt heraus. »Danke, Cam.«
Cam zuckt die Achseln. »Geschieht ihr recht.« Er dreht sich um und schaut Risa an. Sie atmet schnell, fast als wäre sie gerannt. »Werden sie alle umgewandelt? Deine Freunde?«
»Nicht gleich«, antwortet sie. »Aber ja, irgendwann schon.«
»Das tut mir leid.«
»Ist nicht deine Schuld.« Sie schaut ihn jedoch nicht an, als ob sie dächte, dass es vielleicht doch seine Schuld sei. Als mache ihn seine bloße Existenz schuldig.
»Ich kann nichts dafür, dass ich bin, was ich bin«, sagt er.
»Ich weiß … aber heute hast du mir gezeigt, dass du durchaus etwas dafür kannst, was du tust.« Und damit beugt sie sich vor und küsst ihn auf die Wange. Er spürt den Kuss wie einen elektrischen Schlag in allen Narben auf seinem Gesicht.
Sie dreht sich um und will gehen, aber er lässt sie nicht. Noch nicht. Nicht ohne es ihr zu sagen: »Ich liebe dich, Risa.«
Sie schaut ihn an, schenkt ihm aber nur ein entschuldigendes Lächeln: »Leb wohl, Cam.«
Und dann geht sie.
Erst als sie weg ist, wallt der Zorn in ihm auf. Es ist nicht nur ein kurzer Anfall, sondern ein Ausbruch, und Cam weiß nicht, wohin mit seinen Gefühlen. Er nimmt den Stuhl und schleudert ihn gegen den Schminkspiegel. Dann nimmt er alles, was kaputtgehen kann, und schleudert es gegen die Wände, bis die Sicherheitsleute in die Garderobe stürmen. Drei Männer versuchen ihn festzuhalten, aber er ist dennoch stärker, denn er hat ja nur das Beste vom Besten in sich – von jeder Muskelgruppe, jedem synaptischen Reflex. Er reißt sich los, stürmt die Feuertreppe hinunter und trifft Roberta beim Wagen.
»Was hat dich so lange aufgehalten?«
»Einsamkeit«, sagt er. »Ich musste ein bisschen allein sein.«
»Es ist alles in Ordnung, Cam«, beruhigt sie ihn, als sie wegfahren. »Auch das wird vorübergehen.«
»Ja, ich weiß.«
Seine wahren Gedanken behält er jedoch für sich. Niemals wird Cam Risas Lebewohl akzeptieren und zulassen, dass sie aus seinem Leben verschwindet. Er wird alles tun, um sie für sich zu gewinnen und zu behalten. Ihm stehen alle Mittel Robertas zur Verfügung, damit er bekommt, was er will, und er wird sie nutzen.
Roberta lächelt ihm zwischen ihren Telefonaten aufmunternd zu und er erwidert ihr Lächeln. Für den Augenblick spielt Cam mit. Er wird der brave Designerjunge sein, der er sein soll, aber von diesem Augenblick an hat er ein neues Ziel: Risas Traum zu erfüllen und das verdammte Proaktive Bürgerforum Stück für Stück zu demontieren.
Und dann hat sie keine andere Wahl, dann
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