Vollendet - Der Aufstand (German Edition)
gern«, sagt der Polizist auf dem Beifahrersitz, »warum du außerhalb des Tors gefunden worden bist und nicht innerhalb wie alle anderen.«
Miracolina bietet ihnen eine abgeschwächte Version der Wahrheit an, da sie ihr ohnehin nicht glauben würden. »Ich bin zusammen mit einem Freund vor einem Teilepiraten geflohen«, sagt sie. »Wir haben einen sicheren Ort gesucht.«
Die beiden Polizisten schauen sich an. »Dann hattest du keine Ahnung, dass der Flugzeugfriedhof eine EA-Hochburg war?«
»Man hat uns nur gesagt, dass wir dorthin gehen sollen, dass wir dort sicher wären vor Teilepiraten.«
»Wer hat euch das gesagt?«
»Irgendso ein Typ.« Das klingt nach einer Antwort, die jeder Jugendliche geben würde, und wischt die Frage erfolgreich vom Tisch.
»Wie bist du betäubt worden?«
Als sie nicht antwortet, schaut der Fahrer seinen Kollegen an und sagt: »Wahrscheinlich ein schießwütiger Neuling.«
Der Kollege zuckt nur mit den Achseln.
»Egal. Du bist hier und du bist in Sicherheit. War dein Freund auch ein Zehntopfer?«
Miracolina muss ein Lächeln unterdrücken. »Ja, das war er.« Es erfüllt sie mit einer geradezu diebischen Freude, die Polizisten in aller Ehrlichkeit anzulügen, denn das ist alles in allem immer noch die beste Taktik.
»Es haben sich allerdings keine Zehntopfer gestellt«, sagt der Beifahrer. »Vielleicht ist er mit den anderen zusammen weggebracht worden.«
»Mit den anderen?«
»Wie schon gesagt, Razzia. Wir haben ein Riesennest von EAs ausgehoben. Mindestens ein paar Hundert.«
Früher wäre das für Miracolina eine gute Nachricht gewesen – Gerechtigkeit siegt, Ordnung wiederhergestellt –, jetzt macht sie sie nur traurig.
»Irgendwelche großen Kaliber dabei?«, fragt sie, denn wenn Lev oder sein Freund, der Flüchtling aus Akron, gefasst worden wären, dann wäre das eine Sensation. Alle wüssten es.
»EAs mit großem Kaliber gibt es nicht, Süße. Nur Nullen. Sonst wären sie nicht, wo sie sind.«
Wieder seufzt sie erleichtert, und die Polizisten nehmen an, dass sie noch erschöpft ist von der Betäubung. »Leg dich wieder hin, Kleine. Du musst dir keine Sorgen machen. Vor den Teilepiraten bist du jetzt sicher.« Aber sie bleibt sitzen, weil sie nicht in die Benommenheit abgleiten will. Die Polizisten verhalten sich ihr gegenüber irgendwie merkwürdig; immerhin ist sie ein Wandler mit einer fragwürdigen Geschichte. Und auch wenn sie ein Zehntopfer ist – sie hat noch nie gehört, dass JuPos so nett sind zu Jugendlichen, die umgewandelt werden sollen. Wie sie selbst gesagt haben, betrachten sie die Wandler als Nullen. Und zu einer Null sagt man nicht »Süße« oder »Kleine«.
Als sie zur Zentrale der örtlichen Jugendbehörde einbiegen, fragt sie sich, wie es jetzt weitergeht. »Ich sollte zum Wood Hollow Ernte-Camp fahren«, erzählt sie den Polizisten. »Bleibt es dabei oder komme ich in ein Camp in Arizona?«
»Weder noch«, sagt der Fahrer.
»Wie bitte?«
Er parkt den Wagen und dreht sich zu ihr um. »Wenn ich es richtig sehe, haben deine Eltern die Umwandlungsverfügung nie unterzeichnet.«
Miracolina verschlägt es die Sprache.
Sie haben sie nicht unterzeichnet! Jetzt erinnert sie sich. Sie hatten es ihr an der Tür gesagt, aber sie fand, es sei ihre Entscheidung zu gehen, und war dennoch in den Kleinbus eingestiegen.
»Selbst wenn du in Wood Hollow angekommen wärst, wärst du nach dem Gegencheck deiner Papiere einfach nach Hause geschickt worden. Ohne Verfügung keine Umwandlung.«
Sie lacht über die Ironie des Ganzen. Die ganze Zeit hatte sie darum gekämpft, endlich als Zehntopfer umgewandelt zu werden, und jetzt wird es nicht nur nicht geschehen, sondern hätte auch nie stattgefunden. Sie will wütend sein, aber kann sie ihren Eltern einen Vorwurf daraus machen, sie so sehr zu lieben, dass sie sie nicht gehen lassen wollten? Sie fragt sich, was anders gelaufen wäre, wenn sie es gewusst hätte. Hätte sie nach der Flucht vor dem Teilepiraten trotzdem mit Lev zusammen die Reise nach Westen angetreten? Wäre sie so lange bei ihm geblieben, dass sie ihm vergeben und ihm die Absolution erteilen konnte, die er so dringend brauchte?
Zu ihrem Erstaunen ist die Antwort Nein. Hätte sie gewusst, dass sie den Zehntopfergang nie antreten würde, wäre der Anruf bei ihren Eltern nicht einfach nur die Nachricht gewesen, dass sie am Leben ist, sondern die Bitte, zu kommen und sie abzuholen. Sie hätte Lev die Reise allein zu Ende bringen lassen, einsam
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