Vollendet (German Edition)
nicht. Er kann sie förmlich hören: »Wir haben schon immer gewusst, dass er irgendwann umgewandelt wird. Du hättest dich nie mit diesem Lassiter-Jungen einlassen sollen.« Für sie war er nie »Connor«, sondern nur »dieser Lassiter-Junge«. Sie glauben, sie dürften über ihn urteilen, weil er immer mal wieder in Erziehungsanstalten war.
Trotzdem bringt er Ariana an diesem Nachmittag fast bis zur Haustür und versteckt sich hinter einem Baum, während sie hineingeht. Bevor er sich auf den Weg nach Hause macht, kommt ihm der Gedanke, dass es für sie beide bald alltäglich sein wird, sich zu verstecken.
Zuhause.
Wie kann er diesen Ort Zuhause nennen, wenn er daraus entfernt werden soll – nicht nur aus seinem Zimmer, sondern auch aus den Herzen derer, die ihn eigentlich lieben sollten?
Sein Vater sitzt im Sessel und schaut Nachrichten, als Connor hereinkommt.
»Hi, Dad.«
Sein Vater zeigt auf ein Blutbad auf dem Bildschirm. »Klatscher. Schon wieder.«
»Was haben sie diesmal in die Luft gejagt?«
»Einen Old-Navy-Laden im Akroner Einkaufszentrum.«
»Hmmm«, murmelt Connor. »Man sollte eigentlich meinen, sie hätten einen besseren Geschmack.«
»Ich finde das nicht besonders lustig.«
Connors Eltern ahnen nicht, dass ihr Sohn von seiner bevorstehenden Umwandlung weiß. Eigentlich wollten sie es vor ihm geheim halten, aber er war schon immer gut darin, Geheimnisse aufzuspüren. Als er vor drei Wochen auf dem Schreibtisch seines Vaters einen Tacker gesucht hatte, waren ihm Flugtickets für die Bahamas in die Hände gefallen. Über Thanksgiving wollten sie alle gemeinsam Urlaub machen. Aber Connor fand nur drei Tickets – für seinen Vater, für seine Mutter und für seinen jüngeren Bruder. Kein Ticket für ihn. Zuerst vermutete er es irgendwo anders, aber je länger er darüber nachdachte, desto verdächtiger kam ihm die ganze Sache vor. Deshalb schaute er ein bisschen genauer nach, als seine Eltern mal nicht zu Hause waren. Und da fand er die Umwandlungsverfügung. Sie war ganz altmodisch in dreifacher Ausfertigung unterzeichnet worden. Die weiße war schon weg, bei den Behörden. Die gelbe würde Connor bis zu seinem Ende begleiten, und die pinkfarbene würde bei seinen Eltern bleiben, als Beweis dafür, was sie getan hatten. Vielleicht würden sie sie einrahmen und neben das Foto von seinem ersten Schultag hängen.
Die Verfügung war auf den Tag vor dem Abflug auf die Bahamas datiert. Er würde abgeholt und umgewandelt werden, während seine Familie in die Ferien fuhr, um sich abzulenken. Vor lauter Ungerechtigkeit hätte Connor am liebsten etwas zerschlagen. Am aller liebsten hätte er sehr viel zerschlagen, aber er beherrschte sich. Ausnahmsweise zügelte er seinen Zorn, und abgesehen von ein paar Schlägereien in der Schule, in die er mehr oder weniger unverschuldet geriet, behielt er seine Gefühle für sich. Und auch sein Wissen. Eine Umwandlungsverfügung ist unumkehrbar, schreien und toben würde rein gar nichts ändern. Außerdem verlieh es Connor sogar eine gewisse Macht, dass er das Geheimnis seiner Eltern kannte. Zum Beispiel als er seiner Mutter Blumen mitbrachte, und sie danach stundenlang weinte. Oder die Zwei plus im Chemietest – die beste Note, die er je in Chemie geschrieben hatte. Er reichte den Test seinem Vater, der ganz bleich wurde, als er ihn sah. »Schau mal, Dad, meine Noten werden besser. Bis zum Ende des Schuljahrs schaffe ich vielleicht sogar noch eine Eins in Chemie.«
Eine Stunde später saß sein Vater im Sessel, den Test immer noch umklammert, und starrte mit leerem Blick an die Wand.
Connors Beweggründe waren einfach: Sie sollten leiden. Sie sollten ihr Leben lang daran denken, was für einen schrecklichen Fehler sie begangen hatten.
Aber auch jetzt, nachdem er ihnen das drei Wochen lang vor Augen geführt hat, geht es ihm nicht besser. Seine Rache verschafft ihm keine Genugtuung. Im Gegenteil, seine Eltern tun ihm leid, und er hasst sich für solche Gefühle.
»Habt ihr schon gegessen?«
Sein Vater wendet den Blick nicht vom Fernseher. »Deine Mutter hat dir was hingestellt.«
Connor geht in Richtung Küche, aber auf halbem Weg hört er: »Connor?«
Er dreht sich um. Sein Vater schaut ihn an. Er schaut ihn nicht nur an, sondern starrt geradezu.
Jetzt sagt er’s mir, denkt Connor. Jetzt sagt er mir, dass sie mich umwandeln lassen, und dann bricht er in Tränen aus und beteuert, wie schrecklich leid es ihm tut. Und dann würde Connor die
Weitere Kostenlose Bücher