Vollendet (German Edition)
vorsichtig auf den Tisch, dicht an den Kamin, wo es für immer und ewig warm bleiben würde.
Blöde Träume. Sogar die guten sind schlecht, denn sie machen einem bewusst, wie mies die Wirklichkeit dagegen abschneidet.
Wieder klingelt sein Handy und verjagt die letzten Fetzen des Traums. Fast nimmt Connor ab. In der Schlafkabine des Lastwagens ist es sehr dunkel, und er merkt erst gar nicht, dass er nicht in seinem Bett liegt. Weil er sein Handy nicht findet, will er das Licht anschalten, und das rettet ihn. Als er eine Wand berührt, dort, wo eigentlich sein Nachttisch sein sollte, stutzt er. Schon wieder klingelt das Handy. Da fällt ihm alles wieder ein, und er erinnert sich, wo er ist. In seinem Rucksack findet er sein Telefon. Das Display zeigt die Nummer seines Vaters.
Also wissen seine Eltern jetzt, dass er abgehauen ist. Glauben sie wirklich, er würde abnehmen? Er wartet, bis die Mailbox anspringt, und schaltet das Handy aus. Es ist halb acht. Connor reibt sich den Schlaf aus den Augen und versucht abzuschätzen, wie weit sie gekommen sind. Der Lastwagen bewegt sich nicht mehr, aber sie sind bestimmt mindestens zweihundert Kilometer gefahren, solange er geschlafen hat. Das ist ein guter Anfang.
Es klopft an der Tür. »Komm raus, Junge. Deine Fahrt ist vorbei.«
Connor kann sich nicht beschweren. Der Lastwagenfahrer ist ausgesprochen großzügig gewesen, und er wird ihn um nichts mehr bitten. Er stößt die Tür auf und will dem Mann danken. Aber nicht Josias Aldridge steht vor ihm. Der steht mit Handschellen gefesselt ein paar Meter entfernt. Vor Connor baut sich ein Polizist auf, ein JuPo mit einem Grinsen so breit wie ein Scheunentor. Zehn Meter weiter sieht Connor seinen Vater, der immer noch das Handy in der Hand hält, mit dem er gerade angerufen hat.
»Es ist vorbei, mein Sohn.«
Wut brodelt in Connor hoch. Ich bin nicht dein Sohn!, möchte er schreien. Ich bin nicht mehr dein Sohn, seit du die Verfügung unterschrieben hast! Aber der Schreck des Augenblicks macht ihn sprachlos.
Wie hat er nur so dumm sein können, das Handy anzulassen? Auf diese Weise hatten sie ihn natürlich leicht aufspüren können. Wie viele andere Jugendliche werden wohl gefasst, weil sie diesen blöden Fehler machen? Aber Connor wird nicht denselben Weg gehen wie Andy Jameson. Mit einem schnellen Blick macht er sich ein Bild von seiner Situation. Der Lastwagen ist von zwei Autobahnstreifenwagen und einer Jugendpolizeieinheit auf den Seitenstreifen gezwungen worden. Autos rasen mit hundert Stundenkilometern vorbei, blind für das Drama, das sich auf dem Seitenstreifen abspielt. Im Bruchteil einer Sekunde trifft Connor eine Entscheidung. Er sprintet los, stößt den Polizisten gegen den Lastwagen und rennt über die volle Autobahn. Würden sie einem unbewaffneten Jugendlichen in den Rücken schießen? Oder würden sie auf seine Beine zielen und die lebenswichtigen Organe schonen? Die Autos auf der Straße weichen ihm hupend aus, aber er rennt weiter.
»Connor, bleib stehen!«, ruft sein Vater. Dann fällt ein Schuss.
Connor spürt den Einschlag, aber nicht auf seiner Haut. Das Geschoss bleibt in seinem Rucksack stecken. Er dreht sich nicht um. Als er den Mittelstreifen erreicht, hört er noch einen Schuss, und ein kleiner blauer Klecks breitet sich auf der Mittelplanke aus. Sie schießen mit Betäubungsmunition. Sie wollen ihn nicht ausschalten, sondern nur kampfunfähig machen. Wahrscheinlich haben sie wesentlich weniger Hemmungen, mit Betäubungspatronen um sich zu schießen als mit scharfer Munition – Verkehr hin oder her.
Connor springt über die Mittelplanke und gerät vor einen Cadillac. Das Auto weicht ihm aus, und es ist pures Glück, dass Connor von seinem eigenen Schwung wenige Zentimeter aus der Bahn des Caddys getragen wird. Der Seitenspiegel kracht ihm schmerzhaft in die Rippen, bevor das Auto quietschend zum Stehen kommt. Der beißende Geruch von verbranntem Gummi steigt Connor in die Nase. Während er sich die schmerzende Seite hält, sieht er, dass ihn durch ein offenes Seitenfenster jemand vom Rücksitz aus anschaut. Ein Junge, ganz in Weiß gekleidet. Der Junge hat Angst.
Die Polizisten sind schon fast am Mittelstreifen, und Connor, der dem verängstigten Jungen in die Augen schaut, weiß, was er zu tun hat. Wieder muss er im Bruchteil einer Sekunde eine Entscheidung treffen. Er reißt die Tür auf.
2. Risa
Risa geht hinter der Bühne auf und ab und wartet darauf, dass sie sich endlich ans
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