Vollendet (German Edition)
einen Kojoten gesehen, und wollte sichergehen, dass die Katzen nicht draußen sind.«
»Die Katzen sind oben, Liebes. Mach die Tür zu, und geh wieder ins Bett.«
»Ein Kojote bin ich also«, murmelt Connor.
»Pssssst.« Ariana schließt die Tür bis auf einen schmalen Spalt. Er sieht nur noch die Konturen ihres Gesichts und ein violettes Auge. »Du schaffst es, ich weiß, dass du es schaffst. Ruf mich an, wenn du in Sicherheit bist.« Dann drückt sie die Tür ins Schloss.
Connor bleibt noch eine ganze Weile stehen, bis das Licht ausgeht. Allein zu sein war nicht Teil des Plans gewesen, aber schließlich dämmert ihm, dass es so richtig ist. Seit seine Eltern dieses Papier unterzeichnet haben, ist er allein.
Mit Bus oder Bahn kann er nicht fahren. Genügend Geld hätte er, aber vor dem frühen Morgen fährt nichts, und da werden sie schon an allen Stationen und Haltestellen nach ihm suchen. Ständig hauen irgendwelche Wandler ab, und es gibt ganze Teams von JuPos, die hinter ihnen her sind. Im Aufspüren von Flüchtlingen sind sie mittlerweile ziemlich perfekt.
In einer Großstadt könnte er untertauchen, dort gibt es so viele Menschen, dass man nie dasselbe Gesicht zweimal sieht. Oder auf dem Land, wo es nur wenige Menschen gibt, die dazu noch weit voneinander entfernt leben; er könnte sein Lager in einer alten Scheune aufschlagen, und niemand würde auf die Idee kommen, dort nach ihm zu suchen. Andererseits hat die Polizei diese Möglichkeit garantiert auch auf dem Schirm. Wahrscheinlich hat sie jede alte Scheune in eine Mausefalle verwandelt, die zuschnappt und Jugendliche wie ihn fängt. Vielleicht leidet er auch an Verfolgungswahn. Nein, seine Situation rechtfertigt jede Vorsicht – nicht nur heute Nacht, sondern die nächsten zwei Jahre. Mit achtzehn ist Connor in Sicherheit. Danach können sie ihn natürlich ins Gefängnis stecken und ihm den Prozess machen, aber sie dürfen ihn nicht mehr umwandeln. Jetzt muss er nur noch so lange überleben …
Unten an der Autobahn ist ein Rastplatz, auf dem Lastwagenfahrer übernachten können. Da geht Connor hin. Vielleicht kann er hinten auf die Ladefläche eines Sattelschleppers schlüpfen. Aber er stellt rasch fest, dass die Fahrer ihre Ladung unter Verschluss halten. Er verwünscht sich, weil er das nicht bedacht hat. Vorausplanen war noch nie seine Stärke. Sonst wäre er nicht in die Situationen geraten, die ihm in den letzten Jahren Probleme gemacht und ihn als »schwierig« oder »gefährdet« und schließlich als »Wandler« abgestempelt haben.
Ungefähr zwanzig Lastwagen parken auf dem Rastplatz, außerdem gibt es einen hell erleuchteten Imbiss, in dem vielleicht ein Dutzend Fahrer sitzt. Es ist halb vier am Morgen. Offenbar haben Lastwagenfahrer ihre eigene biologische Uhr. Connor beobachtet die Umgebung und wartet. Gegen Viertel vor vier biegt ein Streifenwagen der Polizei in den Rastplatz ein, ohne Blaulicht und Sirenen. Langsam umkreist er den Platz wie ein Hai. Connor will sich gerade verstecken, als ein zweiter Streifenwagen folgt. Alles ist hell erleuchtet, Connor findet keine dunkle Ecke. Wegrennen kann er auch nicht, im hellen Licht des Mondes wird er sofort gesehen. Der erste Streifenwagen dreht am anderen Ende des Rastplatzes um. Gleich werden seine Scheinwerfer Connor erfassen. In letzter Sekunde wirft er sich unter einen Lastwagen und betet, dass die Polizisten ihn nicht gesehen haben.
Langsam rollen die Räder des Streifenwagens an ihm vorbei. Auf der anderen Seite passiert der zweite Streifenwagen den Sattelschlepper in entgegengesetzter Richtung.
Vielleicht ist es nur eine Routinekontrolle . Vielleicht suchen sie ja gar nicht nach mir.
Je länger Connor darüber nachdenkt, desto überzeugter ist er. Sie können noch gar nicht wissen, dass er abgehauen ist. Sein Vater schläft wie ein Stein, und seine Mutter schaut nachts nicht mehr nach ihm.
Trotzdem patrouillieren die Streifenwagen nach wie vor über den Parkplatz.
Von seinem Versteck aus sieht Connor, dass die Fahrertür eines anderen Sattelschleppers offen steht. Nein, es ist gar nicht die Fahrertür, sondern die Tür zu der kleinen Schlafkabine hinter dem Führerhaus. Ein Fahrer klettert heraus, streckt sich und steuert die Toiletten an. Die Tür lässt er offen.
Im Bruchteil einer Sekunde trifft Connor eine Entscheidung, springt aus seinem Versteck und rennt über den Parkplatz zu dem Sattelschlepper, dass der lose Kies unter seinen Füßen aufspritzt. Er hat keine Ahnung,
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