Vollidiot
nicht reden und, wenn ich ehrlich bin, nicht mal atmen.
Ich will einfach nur hier sitzen und den braunen Fliesenboden anstarren. Was gäbe ich darum, würden sich die Fliesen unter lautem Grollen öffnen und mich aufsaugen, in eine sichere, warme und vor allem frauenlose Welt! Irgendwann gehe ich dann doch, schlüpfe energielos in meine Jacke und trete hinaus in die kalte Novembernacht. Ich ziehe mein Handy aus der Tasche und sehe, dass ich die letzte Kurzmitteilung, die ich bekommen habe, noch gar nicht gelesen habe.
Wo warst du? Hab Streit mit Daniela. Meld dich mal. Bitte. Flik.
Ein leerer, hell erleuchteter Stadtbus donnert an mir vorbei. El autobús es rojo.
KREBSROTE FLACHPFEIFE
Es ist das allererste Mal, dass ich an einem Samstag im Fitnessstudio bin. Genauer genommen rotiere ich in einer schwachsinnigen Langlaufsimulation, die mir Studioleiter Sascha auf den Trainingsplan geschrieben hat – vermutlich aus purem Hass, weil ich ums Verrecken nicht schwul werden will. Es ist kurz vor elf, und normalerweise müsste ich mir neben Flik im Laden die Beine in den Bauch stehen. Das geht natürlich heute nicht. Am großen Marciatag. Wenigstens überdeckt die Nervosität, die diese emotionale Großveranstaltung in meinem Bauch auslöst, das schlechte Gewissen, das ich wegen der Daniela-Geschichte habe.
Mein Puls pocht inzwischen bei 158. Das weiß ich deshalb so genau, weil ein Plastikband an meiner Brust die Herzfrequenz direkt auf das Display der albernen Langlaufsimulation funkt. Seit meiner Ohnmacht im Step-Kurs lässt man mich nämlich nicht mehr ohne Pulsmesser trainieren.
Zu Hause bringt Lala gerade meine Wohnung auf Hochglanz. Ich habe nichts dem Zufall überlassen: frische Bettwäsche, sauberes Bad, die Nagelschere in einem anderen Becher als die Zahnbürste. Und natürlich habe ich zehn brandneue Hightech-Kondome direkt neben dem Bett deponiert.
Das Studio ist menschenleer. Auf dem Langlauf-Display blinkt ein rotes Herz, darunter wird gerade meine Herzfrequenz aktualisiert: 178. Einhundertachtundsiebzig! An der Scheibe des Fitnessclubs, von der man unglücklicherweise auf eine Einkaufsstraße blickt, drücken sich zwei pubertierende Pickelgesichter die Nase platt. Wollen wahrschein-lich gucken, wie ein Schwuler auf einer Langlaufsimulation aussieht. Ich überlege noch, wie ich den beiden in Gebärdensprache klarmachen könnte, dass ich nicht schwul bin, da sind sie auch schon wieder weg. Auf dem Display blinkt mir nun ein aus vielen gelben Punkten zu-sammengesetztes Cool Down entgegen. Gott sei Dank! Laut Saschas Trainingsplan heißt das, dass ich jetzt schwere Gewichte pumpen darf.
Ich trotte zu einem wuchtigen Stahlgerät mit dem Namen Abdominal Crunch, zwänge mich ächzend hinein und stecke den Stift für das Gewicht ein. Nun gut, Gewicht ist vielleicht ein wenig übertrieben: Bei mir handelt es sich lediglich um zwei Stahlplatten mit den Aufschriften 2,5 und 5,0. Seit meinem Step-Intermezzo mutet man mir auch in dieser Hinsicht weniger zu. Mein Blick gleitet zu einer großen Uhr am Ende des Trainingsraums. Punkt elf Uhr ist es, so früh war ich noch nie hier. Elf Uhr, das heißt, dass ich mich in genau sieben Stunden mit Marcia treffen werde. In mickrigen sieben Stunden!
Ich drücke meinen Oberkörper gegen die gepolsterte Rolle und beuge mich nach vorne. Die fünf Kilo heben sich leichter als befürchtet. Wie mache ich das nur alles mit Marcia? Ich zähle mit. EINS. Ich werde auf sie zugehen, lächeln, und sie wird so etwas sagen wie: >Simon, schön dich zu sehen!< ZWEI. Ich werde ihr sagen, dass es noch viel schöner ist, sie zu sehen, und DREI, obwohl, vielleicht lass ich das besser. VIER! Vielleicht bekomme ich ja sogar einen Kuss auf die Wange? FÜNF! Ich werde noch aufgeregter sein als jetzt, denn wahrscheinlich wird sie SECHS phantastisch aussehen, und ich werde kein Wort rausbekommen und nur debil glotzend dastehen und dumm auf meinen Bart-Simpson-Pullover sabbern. SIEBEN! Quatsch! Irgendwas wird mir schon einfallen. Also, Marcia und ich kommen in die Halle, ich gebe eine Runde Bier aus, das ist wichtig, ACHT!, und dann sind wir irgendwann mitten unter den Leuten, und das Konzert fängt an, und NEUN, SCHEISSE, JETZT WIRD'S SCHON SCHWERER, und irgendwann müssen die Fantas unser beider Lieblingslied spielen, den verdammten Tag am Meer, und bis dahin ZEEEEEHHHNNNNN haben wir bestimmt schon das zweite oder dritte Bier, und wenn die dann den Tag am Meer spielen, ELF VERDAMMT NOCH MAL, dann
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