Vollidiot
Leg Press, wechsle meine Sexstellung mit Marcia und schaffe vier Sätze. Bei der Torso Rotation sitzt Marcia auf mir, beim Pectoral Push vögeln wir klassisch in der Missionarsstellung. Als ich nach einer Stunde wie auf rohen Eiern in die Umkleide schlurfe, hab ich im Kopf über zweihundert Mal mit Marcia geschlafen.
Völlig entkräftet werfe ich meine Sporttasche ins Auto und tippe Paulas Nummer in mein Handy. Ich spüre, wie die innere Anspannung trotz meiner sportlichen und sexuellen Höchstleistungen steigt. Noch fünf Stunden und zwanzig Minuten bis zum Fanta-Vier-Konzert. Ich bin fast so nervös, als müsste ich selbst auf der Bühne stehen. Und dann dieser schreckliche Durst! Aber ... wer Muskeln haben will, muss eben leiden. Und wenn Marcia mir gegen Mitternacht die Klamotten vom Leib reißt, dann entdeckt sie vielleicht die eine oder andere einzeln definierte Muskelfaser vom heutigen Training, knallt mich lüstern auf die Matratze und ...
»Siiiiimmmmooon! «
Paulas Stimme knarzt aus meinem Handylautsprecher. Mist! Hab völlig vergessen, dass ich sie angerufen habe. »Hi, Paula!«
»Na endlich, du treulose Tomate!«, bellt sie mich an. »Hey, Paula, alles klar?«
»Nix ist klar! Wo warst du denn gestern, du Blödmann? Wir haben 'ne geschlagene Stunde vor deiner Wohnung gewartet! Ich bin voll sauer. Und Phil auch. Und Flik sowieso!«
Scheiße. Ich hätte mir wenigstens eine Entschuldigung ausdenken können, bevor ich anrufe. Glücklicherweise ist Paula aber erst mal so stinkig, dass ich sowieso nicht zu Wort komme.
»Ich hab dich vier Mal angerufen, du Penner! Hättest ja wenigstens mal rangehen können«, schimpft sie weiter, während ich vom Parkplatz rolle und mich in den Verkehr einordne. Soll sie ruhig erst mal Dampf ablassen. Denn was ich wirklich schlecht kann, ist gleichzeitig links abbiegen und mich aus einer blöden Situation rausreden.
»Wir machen das nicht, um dich zu ärgern, Simon, wir machen uns Sorgen, kapierst du das?«
Ja, kapiere ich. Den Satz höre ich am Tag zehn Mal. Von der Eule, von Paula, von Flik. Ich sehe einen älteren Mann in einer grünen Ja-cke, der vor einem Steakrestaurant die Zeitschrift Wachturm nach oben hält. Ironischerweise wirkt er dabei so, als wäre er schon eingeschlafen.
»Wenn wir dir egal sind, dann musst du's einfach sagen, Simon. Dann steht eben keiner mehr vor deiner Tür. Hörst du mir zu?«
Das fragen mich auch immer alle. An der großen Umweltinforma-tionstafel am Rudolfplatz versuche ich, einen Blick auf die aktuellen Ozonwerte zu erhaschen. Im letzten Augenblick schiebt sich aber ein Möbellaster zwischen mich und die Tafel, und ich kann nicht mehr erkennen, ob Köln schon vergiftet ist oder nicht.
»Ja, ich höre zu!«
Weil ich gerade nicht links abbiegen muss, entscheide ich mich, Paula wenigstens einen Teil der Wahrheit zu sagen.
»Ich ... es tut mir Leid. Ich hätte euch Bescheid geben sollen, aber ich hatte echt keinen Bock auf die ganze Simon-was-ist-denn-mit-dir-los-Scheiße!«
Sogar durchs Telefon kann ich hören, wie sich Paula mit ihrem Zippo eine Kippe anzündet.
»Okay ...«
Ich weiß nicht, wie ich dieses Okay deuten soll. Womöglich war es ein Schweizer Okay, also ohne Wertung und Meinung. Keine Meinung. Wer hat's erfunden? Die Schweizer!
»Wo biste denn gerade?«, fragt sie mich.
»Zwischen Merzenich und Dr. Müllers Sex-Shop!«
»Da bin ich in der Nähe!«
»Du bist im Sex-Shop?«
»Neee, in der Ehrenstraße. Lust auf ein Käffchen im Quattro Cani?«
Zeit für MEIN Schweizer Okay. So ein bisschen Flirt-Coaching kann mir nicht schaden vor meinem Date, denke ich mir und werfe mein Handy auf den Beifahrersitz. Im Schneckentempo schleiche ich durch die Straße, in der ich wohne. Weit und breit ist kein Parkplatz zu sehen. Klar, was habe ich erwartet, es ist Samstag. Wenn ich Pech habe, dann dreh ich hier bis zum Konzert meine Runden und erliege noch vor dem ersten Fanta-Vier-Song einem Nervenzusammenbruch.
Es ist eine Sauerei, was die Stadt Köln hier mit ihren Bürgern veranstaltet! Wenn ich der Stadt schon den Gefallen tue, im unmittel-baren Zentrum zu wohnen, dann müsste sie wenigstens für einen Parkplatz sorgen. Aber nein, die shoppinggeilen Rübenstecher aus der Umgebung wollen ihren lehmverschmierten Passat am Samstag ja auch mal vor eine Edelboutique stellen statt neben einen Acker! Am besten fang ich erst gar nicht an, mich darüber aufzuregen. Wie durch ein Wunder finde ich ein paar hundert Meter hinter dem
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