Vollstreckung - Sturm, A: Vollstreckung
besonders schwer, da die zwei Schoppen Rotwein vom gestrigen Abend ihren physischen Zustand zusätzlich belasteten. Anschließend absolvierte sie ihr Krafttraining, indem sie zwei fünf Kilogramm Hanteln mit den Armen stemmte. Karin hasste jede einzelne Übung, auch die Gymnastik zur Dehnung der Muskeln machte ihr nicht wirklich Freude. Der Abschluss ihres Morgensportprogramms bestand in einem 30-Minuten-Lauf durch das Wohngebiet.
Vor fünf Jahren brachte Karin noch sechs Kilo mehr auf die Waage, sie hatte sich nach der Trennung von ihrem Mann ziemliche Kummerröllchen angefressen und angetrunken. Zuerst versuchte sie, mit Diäten ihr Gewicht zu reduzieren, aber außer extrem schlechter Laune, die sie an ihrer Umwelt ausließ, hatten die Diäten keine Auswirkungen. Zuerst nahm sie zwar immer ab, aber sobald sie ihre Nahrung nicht mehr ganz so diszipliniert nach Vorschrift zu sich nahm, waren die Pfunde sofort wieder da.
Das letzte Mittel war Sport und mehr Bewegung. Den Sport hatte sie hinausgeschoben, bis es wirklich keine andere Möglichkeit mehr gab. Schon in der Schule hatte sie den Sportunterricht gehasst. Während der Polizeiausbildung hatte sie die sportlichen Anforderungen nur gerade eben so geschafft und das auch nur, weil sie in allen anderen Bereichen sehr gut war. Da hatten die Ausbilder beide Augen zugedrückt.
Bei ihrem ungeliebten Joggen tröstete sie sich wie immer, dass es ja gesund sei. Und, so sagte sie sich, wenn ein Straftäter vor ihr davonlief, konnte sie bedingt durch das Training die Verfolgung aufnehmen und musste nicht nur hinterhergucken und in der Hosentasche heimlich die Faust ballen.
Beim Duschen dachte sie darüber nach, dass sie schon oft gelesen hatte, dass Sport im Körper Endorphine freisetze und damit Glücksgefühle ausgelöst würden. Das einzige Glück, welches Karin empfand, war, dass die Qual für einen Tag vorbei war. Ein wenig Stolz empfand sie immerhin, weil sie jeden Morgen so konsequent war und sich immer wieder bezwang. Auf das andere Ergebnis, ihren schönen straffen Bauch und die schlanke Linie, war sie dagegen ungeheuer stolz.
Karin riss pünktlich um 8 Uhr schwungvoll die Bürotür auf, da hörte sie einen Bums und dann ein: «Aua. Scheiße!« Sandra war bei ihrem Eintreten erschrocken und hatte sich beim Hochrucken den Kopf an der Tischplatte gestoßen. Nun kam sie, sich den Kopf reibend, unter dem Schreibtisch hervor gekrabbelt.
»Guten Morgen Sandra. Dein neuer Computer ist ja schon da! Vielleicht solltest du beim Aufbauen einen Helm tragen. Bist du schon lange im Büro?«
»Erst seit einer dreiviertel Stunde. Die Techniker haben gerade den PC angeliefert und wollten ihn auch aufbauen, aber das mache ich lieber selbst. Würdest du bitte in Zukunft etwas geruhsamer die Tür öffnen und an mein schwaches Herz denken?«
»Entschuldigung, ich muss mich erst daran gewöhnen, dass ich nicht mehr allein hier hause. Was hältst du von einer Tasse Tee, wir haben noch etwas Zeit, bevor wir losmüssen.«
»Ja gern, aber da du gerade von Tee sprichst, muss ich dir etwas beichten. Ich habe gestern Abend, ganz in Gedanken versunken, deine ganzen Kekse verputzt.«
»Da brauchst du dir keinen Kopf zu machen. Mit denen geht es mir auch immer so, ich muss mich mit Gewalt von ihnen losreißen.«
Karin öffnete eine Schranktür und zeigte auf mehrere große Päckchen: »Hier schau, das ist der Keksvorrat, alles Spekulatius. Die gibt es nur in der Weihnachtszeit, da kaufe ich immer eine größere Menge. Die halten sich auch sehr gut, sie schmecken sogar im Sommer noch richtig knackig.«
Beim Tee berichtete Sandra, was sie am Abend zuvor über das Mordopfer ermitteln konnte: »Joachim Haase war geschieden. Seine alte Wohnung, die unter seinem richtigen Namen lief, hat er zum Quartalsende vorigen Jahres gekündigt. Seit diesem Tag hat er sich auch nicht mehr in seinem Steuerbüro sehen lassen. Das ist inzwischen abgewickelt. Seine Sekretärin hat ihn als vermisst gemeldet. Sein neues Ich, Joachim Lehmann, hat den Mietvertrag für seine neue Wohnung ab dem 1. Oktober, auch vorigen Jahres, abgeschlossen. Er hat als Joachim Lehmann ein Girokonto eingerichtet, auf welches er 5000 Euro bar eingezahlt hat. Davon wurde die Miete abgebucht, ansonsten gab es keine Kontobewegungen. Seine Ausgaben hat er sicher alle ebenfalls cash beglichen. Den alten Golf hat er bei einem Gebrauchtwagenhändler gekauft, natürlich bar bezahlt. Mehr gibt es über die kurze Existenz von Joachim Lehmann
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