Vollstreckung - Sturm, A: Vollstreckung
mir, man muss die Sprache des Feindes sprechen können.« Herr Lefort brach in Lachen aus, als er Karins verdutzte Miene sah. »Mein Vater kämpfte in der Résistance, aber nach dem Krieg legte er die Waffen nieder, auch die Waffen in seinem Geist. Er empfand keine Feindschaft für Ihr Volk. Sie müssen wissen, er hat auch Geschichte unterrichtet und da kannte er sich gut mit den Angriffskriegen der Völker aus. Jedes Volk kann einmal Dummheiten begehen, sagte er immer.«
Monique nahm ebenfalls in einem der Korbsessel Platz, sie hatte ihren Rock über die Knie geschoben und genoss die Sonne. Dem Gespräch schenkte sie keinerlei Aufmerksamkeit. Karin interessierte sich sehr für die junge, attraktive Frau. Immer wieder sah sie zu ihr hin. Herr Lefort bemerkte Karins Blicke. Er lächelte leicht und sagte: »Monique hat wieder Licht in unser Heim gebracht. Nach Sarahs Tod waren meine Frau und ich krank vor Kummer. Monique hat genau wie wir einen schweren Verlust erlitten und stand auf einmal allein in der Welt, da haben wir ihr ein neues Zuhause geboten.«
Karin antwortete nicht darauf und nickte nur.
»Meine Frau wird sehr traurig sein, Sie verpasst zu haben. Sie ist für ein paar Tage zu ihrer Mutter gefahren. Aber Sie essen ja gar nicht. Nur keine Scheu, greifen Sie zu!« Herr Lefort schob die Käseplatte noch näher zu Karin hin.
Karin, die schon mit den vielen Käsesorten geliebäugelt hatte, schnitt sich Brot und belegte es dick mit Käse. Herr Lefort freute sich sichtlich, dass es ihr schmeckte. Auch er langte herzhaft zu, nur Monique schien keinen Appetit zu verspüren, sie trank nur hin und wieder einen Schluck Wein. Karin und ihr Gastgeber aßen und plauderten über unverfängliche Dinge. Herr Lefort erzählte über seine Frau und die kleine Stadt, in der deren Mutter lebte, über seinen Hof und kam erst nach dem Essen zur Sache: »Halten Sie mich bitte nicht für unhöflich, aber jetzt würde es mich doch interessieren, was Sie zu mir geführt hat.«
»Wenn ich das nur selbst so genau wüsste«, sagte Karin. »Eigentlich wollte ich Sie bitten, mir von Adina Mahler zu erzählen, aber ich denke, das ist nicht mehr so wichtig.« Nach diesen Worten legte sie eine Pause ein. Ein Blick zeigte ihr, dass sie nun auch Moniques volle Aufmerksamkeit gewonnen hatte. Diese blinzelte nicht mehr teilnahmslos in die Sonne, sondern wirkte angespannt. »Aber selbstverständlich habe ich auch eine konkrete Frage«, Karin holte ein Briefcouvert aus ihrem Rucksack und legte die darin enthaltenen Fotos vor Herrn Lefort auf den Tisch. Es waren die Bilder, die Sandra von der
Parabellum
-Pistole gemacht hatte. »Kennen Sie diese Waffe?«, fragte sie Herrn Lefort und lehnte sich entspannt zurück.
Pierre Lefort warf einen kurzen Blick auf die Fotos, nickte und sagte belustigt: »Diese Pistole kenne ich sehr gut, es war meine eigene. Ich habe sie von meinem Vater geerbt und der hat sie einem deutschen Major abgenommen.«
»Sie sagten, es war Ihre Waffe. Wieso ist sie es nicht mehr?«
»Das wissen Sie doch genau. Ich habe sie Adina gegeben.«
»Wussten Sie, was Frau Mahler mit dieser Pistole vorhatte?«
»Ja, sie wollte den Mann, der meine Tochter vergewaltigt und in den Tod getrieben hat, damit erschießen. Und ich habe ihr auch gezeigt, wie sie damit umgehen muss, damit sie ihn auch trifft.« Herr Lefort wurde nun ernst: »Die deutsche Justiz hat versagt, sie hat drei Männer davonkommen lassen, die sich eines schweren Verbrechens schuldig machten. Dass Adina sie gerichtet hat, war rechtens.«
»Ich bin Ihr Gast. Trotzdem muss ich Ihnen widersprechen. Frau Mahler hatte kein Recht diese Männer zu töten. Selbstjustiz kann ich unter keinen Umständen billigen.«
Herr Lefort wollte etwas einwerfen, aber Karin bat ihn mit einer Geste, sie weiter sprechen zu lassen. »Auf den ersten Blick sieht es so aus, als wären Frau Mahlers Handlungen legitim gewesen. Aber nur auf den ersten Blick. Wenn die Gesellschaft Selbstjustiz gutheißen würde, was wären die Folgen? Eine Spirale der Gewalt würde sich aufbauen und jeder würde in den entstehenden Strudel gesogen. Schon nach kurzer Zeit würde ein entfesselter Mob durch die Straßen ziehen und Verbrechen wären die Normalität. Egal ob schuldig oder unschuldig, die Menschen würden sich gegenseitig dahinschlachten. Die Gesellschaft, die wir kennen und in der wir relativ sicher leben, gäbe es bald nicht mehr. Auch in Ihrem beschaulichen Dorf könnten sie Ihren Hof schon bald nicht
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