Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)
den Rücken und starrte sie an. »Die Schüssel, gib mir die Schüssel«, flehte er mit gepresster Stimme.
Sie schaute auf den Lappen, den sie immer noch in den Händen hielt, warf ihn neben sich, ergriff die Schüssel mit dem Wasser und kippte sie aus. Direkt neben die Matte.
Kaum, dass sie ihm die Schüssel gereicht hatte, verließ sie die Hütte. »Wenn du mich brauchst, sage mir Bescheid«, rief sie ihm zu und schaute in den wolkenlosen Himmel hinauf. Gab es dort oben Mächte oder vielleicht wirklich einen Gott und seinen Sohn, die darüber entschieden, was sie gleich zu sehen bekommen würde? Gab es ein Schicksal, dem zu entrinnen unmöglich war?
Carl hatte das nasse Tuch über die Schüssel gedeckt. Weiß schimmernd verbarg es den Inhalt. Kaum, dass sie ihm den Rücken zudrehte, zog sie am Stoff.
Darunter lag rot das Blut.
Mary lief an den Rand des Strandes und schüttete alles über die Pflanzen. Ihr war schwindelig. Sie beugte sich vor und übergab sich. Die Hände auf die Knie gestützt, wartete sie, bis sich ihr Magen beruhigte. Mehrmals atmete sie tief ein und aus, bevor sie sich wieder aufrichtete.
Linkerhand, am Ende der sichelförmigen Bucht, liefen einige Kinder am Strand entlang. Ihr Lachen war auch auf die Entfernung hin zu hören, sie spielten, als wäre nichts geschehen. Es gab auf dieser Insel noch Leben, das so weiterging wie bisher.
Erschöpft setzte sich Mary in den Sand, lauschte dem Lachen der Kinder und dem Wasser, das sich schäumend an den Korallenriffen brach. Die winzige unbewohnte Insel, die rechterhand vor der Küste lag, war heute deutlich zu erkennen. Dort waren sie hinübergeschwommen und nackt am Strand herumgelaufen.
Sie schluckte und wendete den Kopf, schaute auf den schroffen Hang hinter sich. Maulbeer- und Brotbäume bedeckten ihn, zum Strand hin mischten sich Farne dazu. Die Blüten verschiedenster Orchideenarten setzten farbige Punkte in das dichte Buschwerk. Im Schatten der Blätter tanzten Lichtkegel der Sonnenstrahlen, die durch die Äste hindurchfielen. Bei ihrer letzten Expeditionhatten sie prüfen wollen, ob es auf Tahiti einen aktiven Vulkan gab. Dabei waren sie auf einer Lichtung auf einen Wasserfall gestoßen. Eine Frau hatte Früchte gewaschen, während zwei Kinder Wasser geschöpft und es in Kokosnussschalen davongetragen hatten. Sie hatten an diesem Tag die Suche nach dem Vulkan abgebrochen und sich auf einem Felsen in die Sonne gesetzt, um dem Rauschen des herabstürzenden Wassers zuzuhören.
Nichts auf dieser Insel und den Inseln der Umgebung ist unberührt, alles erinnert an Carl. Wie soll ich hier weiterleben, wenn er geht?
Ihre Schultern schmerzten, die Glieder waren schwer.
Vielleicht habe ich mich angesteckt,
dachte sie und verspürte Erleichterung. Sie nahm die Schüssel und sah auf dem Rückweg zur Hütte sein Blut, das sich in Schlieren über die Blätter verteilt hatte.
Tahiti, 14. Juli 1786
»Liebling, ich bin hier. Hörst du mich? Wir werden das durchstehen.«
Heiß war ihm, und sein Rücken war immer noch verkrampft. Die Schmerzen im Unterleib hatten jedoch nachgelassen. Carl drehte den Kopf und öffnete die Lider. Seine Augen brannten. Ein sicheres Zeichen seines Körpers, dass das Fieber gestiegen war. Er hatte das Zeitgefühl verloren, dem Lichteinfall nach musste es Nachmittag sein.
Ein Lächeln. Sein Herz machte einen Doppelschlag. Sie musste neben der Matte gewartet haben und hielt ihm nun die Schüssel an den Mund. Schweigend strich sie ihm die Haare aus der Stirn. Unfähig, den Löffel zu greifen, ließ er sich mit einem Früchtebrei füttern. Unfähig, sich zu erheben, ließ er sich waschen und am Ende wieder auf die Matte betten. Als sie ihm am Schluss einen Lappen auf die Stirn legte, reagierte er kaum, und die Augen fielen ihm zu.
»Bitte, bitte, bleib wach.« Ein flehentliches Flüstern. Er schlug die Augen wieder auf. Angst. In ihrer Stimme hörte er Angst.
»Carl, du musst mit mir deine Behandlung durchgehen. Schaffst du das?«
Er nickte.
»Vorhin habe ich mich gefragt, ob ich die Wickel weiterhin anlegen soll oder ob ich mit der Kälte, wie es Paracelsus behauptet,das Fieber nur verdränge, wodurch es an anderen Stellen Schaden anrichtet.«
»Nein, das ist gut so. Fahr fort damit, mir ist es angenehm.«
Du beginnst, deinen Behandlungsmethoden zu misstrauen,
fügte er in Gedanken hinzu,
und verrätst für mich deine Grundsätze. Mache das nicht, vertraue dir und deinen Fähigkeiten. Sie reichen bis zu einem
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