Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)
Exkursion? Wo wart ihr denn?« Wenigstens er musste ihr antworten.
»In den Nebelwäldern waren wir, ziemlich weit oben, im Lorbeerwald. Aber das war keine Exkursion im eigentlichen Sinne. Carl«, er senkte verschwörerisch die Stimme, »brauchte ein wenig Auslauf.«
Mary nahm das Veilchen, dessen gelber Kopf schon bedrohlich abknickte. »Wäre es denn nicht sinnvoll, ich würde euch bei den Exkursionen oder Ausflügen begleiten? Als Teil des wissenschaftlichen Stabes?«
»Ach, das ist eigentlich nicht vonnöten. Es ist sinnvoller, wenn du hierbleibst. Hier sind die Arbeitsbedingungen besser, es ist kühler und windgeschützt. Da halten sich die Pflanzen länger. Uns ist ja an der Qualität der Zeichnungen gelegen. Die restliche Arbeit vor Ort, die bekommen wir schon hin.« Er lächelte arglos und zeigte auf die Pflanzen. »Was denkst du, mit welcher sollte man beginnen?«
Mary fror. Sie sollte hier in dieser Messe sitzen, an diesem Tisch, und nichts von der Welt, die sie bereisten, sehen? Nur in ihrer freien Zeit könnte sie vielleicht das Schiff verlassen, um ein wenig an der Küste herumzutändeln? Was hatte Bartholomäus gesagt? Wie nannte die Mannschaft die Inseln? Die Deserteure? Jetzt wusste sie, warum, und sie sollte darüber nachdenken, ihrem Namen Ehre zu machen. Vielleicht war es an der Zeit für sie, das Schiff zu verlassen.
Madeira, 8. August 1785
»Ich werde nicht umhinkommen«, sagte Kapitän Taylor, »ansonsten riskieren wir eine Meuterei. Die Männer müssen sich abreagieren, ihren Druck loswerden. Vor ihnen liegt eine lange Strecke, auf der sie kein Weib zu Gesicht bekommen werden.«
»Himmel, das sind erwachsene Männer«, entgegnete Carl und schüttelte unwillig den Kopf.
»Das ist ja das Problem«, ein feines Lächeln zog über Taylors Gesicht. »Erinnert Euch bitte daran, wie sich selbst unsere Gentlemen beim Weinhändler verhalten haben.«
»Ich habe das Gelage frühzeitig verlassen.« Er nahm einen Schluck des Madeira-Weines, den der Kapitän zu ihrer Unterredung geöffnet hatte, und sah sich um. Die Kapitänskajüte war geräumig, aber nicht mit den Palästen anderer Kapitäne vergleichbar, von denen man sich berichtete. Zweckmäßig war sie und sachlich, keine Spielereien, kein üppiger Aufwand.
Der Kapitän erhob die Hand und winkte ab. »Ihr wisst sehr wohl, was ich meine. Darum geht es auch nicht. Wir müssen die Schiffsjungen für eine Nacht aus dem Mannschafts- und Ladedeck fernhalten.«
Carl nickte. Der Gedanke war naheliegend. Er hatte einfach recht daran getan, sich für diesen Mann, auch wenn er kein Kapitän war, einzusetzen. Taylor bedachte alles: den Notstand seiner Männer, den es zu lindern galt, und selbst dabei übersah ernicht die Kinder, die vor der anstehenden Orgie geschützt werden mussten.
»Ich bin das Alter der Midshipmen durchgegangen. Bei ihnen sehe ich keine Handhabe. Sie sind alt genug, für sich zu entscheiden, wie sie die Nacht verbringen möchten.«
»Was plant Ihr? Wo sollen die Kinder die Nacht verbringen?«
»Das Schiff ist beengt, kleiner als viele Linien- oder Handelsschiffe. Deshalb würde ich dafür plädieren, die Jungen für eine Nacht in der Offiziersmesse unterzubringen.«
Das war eine ungewöhnliche Entscheidung. Sicherlich würde sie für Unmut unter den Offizieren sorgen.
»Man könnte in Erwägung ziehen, die Kinder für eine Nacht im Ladedeck unterzubringen. Aber wer gibt uns die Sicherheit, dass sich nicht auch liebestolle Paare ein ruhigeres Plätzchen suchen und sich genau dorthin zurückziehen werden?« Taylor seufzte und rieb sich die Stirn. »Ich hasse das. Viele der Männer holen sich die widerwärtigsten Erkrankungen, sie wissen darum und lassen es doch nicht sein.«
»Wir können eine Untersuchung anordnen, wenige Tage nach der Abfahrt.«
»Das wird nicht vonnöten sein. Sie werden ohnehin irgendwann mit ihren Beschwerden bei Doc Havenport auftauchen.« Müde sah Taylor auf. »Es gab auch schon eine Fahrt, bei der hat sich keiner der Männer infiziert. Vielleicht nützt es, wenn wir Stoßgebete gen Himmel senden.«
Für einen Moment schwiegen sie. Der Kapitän schwenkte sein Glas und sah dem auf- und abgleitenden Weinspiegel zu. »Aber nicht nur, dass die Männer ihr Geld vergeuden«, fuhr er fort, »um sich an billigen Hafenhuren zu erfreuen. Auch für uns bedeutet das einen immensen Aufwand: Am Tag darauf müssen die Decks gründlichst gesäubert und geschwefelt, die Hängematten gewaschen werden. Und das
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